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Søren Kierkegaard (1813-1855)

Dyrnberg

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11. Juni 2022
Beiträge
89
Ich finde es etwas schade, dass hier im Forum unter der Rubrik "Die Philosophen" so selten tatsächlich über konkrete Philosophen diskutiert wird, daher mache ich mal einen neuen Thread auf. (Der alte Thread zu Kierkegaard hatte NULL Bezug zu seinem Werk.)

Hier soll es immer wieder mal um das Werk des dänischen Philosophen Kierkegaards gehen. Zu Beginn ein Zitat aus meinem Sachbuchteil des Romans "Die Nacht der Frage und der Morgen danach" - mit diesen Worten beginnt also meine Einführung in Kierkegaard:


kierke.png
 
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Was meine ich mit dem "wilden Ritt", der einen auch "abwerfen" kann? Man denke beispielsweise an "Furcht und Zittern": Kierkegaards radikale Auseinandersetzung mit der Abraham-Geschichte, bei der er zu dem Fazit kommt: "Das religiöse Leben kann nicht durch vernünftiges Nachdenken erreicht werden, so Kierkegaard, der Glaube fordert vielmehr eine „Kreuzigung des Verstandes“, ist das Christentum doch ein einziges Paradoxon."

Ich empfinde "Furcht und Zittern" als unglaublich spannende Abhandlung. Spannend vor allem, weil sie uns so ein ganz anderes Bild vom Christentum darlegt als heute üblich, ABER: Wo sind die Grenzen zum religiösen Fanatismus? Würden wir Kierkegaard heute als religiösen Terroristen (des Wortes) beschreiben?
 
Furcht und Zittern ist ein fantastisches Buch.
Der erste Satz, den ich in einem Philosophiebuch ca. 1985 gelesen habe: "Als die Eleaten die Bewegung leugneten, trat, wie jedermann weiß, Diogenes als Opponent auf. Er trat wirklich, ging ein wenig hin und her und meinte, jene damit widerlegt zu haben." (aus dem Stegreif meiner Erinnerung).
Die Wiederholung wurde mir einst von meiner großen Liebe empfohlen. Sie liebte Kierkegaard.
Einer meiner Philosophieprofessoren sagte, ich meine, in einer Vorlesung zum Thema "die Geburt der Tragödie...", Kierkegaard und Nietzsche seien die großen Antipoden der philosophischen Moderne, aus denen alles erwuchs, was die Philosophie des 20. Jahrhunderts erschaffen hat. Ich kannte diesen Begriff als Antipoden der philosophischen Antike, meine, damit ist Parmenides und Anaximander gemeint.
 
Ich habe ein paar schlimme Fehler in meinem Leben gemacht. Einer war, aus Wut über den niedersächsischen Landtag meine beste philosophische Arbeit wegzuwerfen. Das Thema war "Der Sprung von der Idee zur Wirklichkeit". Auslöser war "Furcht und Zittern" von Kierkegaard, Basis waren Schriften von Gadamer und Schiller. Heute ärgere ich mich maßlos darüber.
 
Was meine ich mit dem "wilden Ritt", der einen auch "abwerfen" kann? Man denke beispielsweise an "Furcht und Zittern": Kierkegaards radikale Auseinandersetzung mit der Abraham-Geschichte, bei der er zu dem Fazit kommt: "Das religiöse Leben kann nicht durch vernünftiges Nachdenken erreicht werden, so Kierkegaard, der Glaube fordert vielmehr eine „Kreuzigung des Verstandes“, ist das Christentum doch ein einziges Paradoxon."

Ich empfinde "Furcht und Zittern" als unglaublich spannende Abhandlung. Spannend vor allem, weil sie uns so ein ganz anderes Bild vom Christentum darlegt als heute üblich, ABER: Wo sind die Grenzen zum religiösen Fanatismus? Würden wir Kierkegaard heute als religiösen Terroristen (des Wortes) beschreiben?
Kierkegaard war ein Günstling Gottes.
 
Kierkegaard war ein Günstling Gottes.

Als Urvater des Existenzialismus angesehen, gehört Kierkegaard zu jenen wichtigen, ganz großen und zugleich sehr eigenwilligen Denkern des 19. Jahrhundert, welche der philosophischen Anthropologie, also einer Anleitung zum richtigen Existieren, entscheidende Anstöße gegeben hat. Kierkegaards Ausgangsannahme hierzu war: Der Mensch hat vergessen, wie es ist, Mensch zu sein. Heidegger ergänzte diese These sodann noch über dessen Ansatz der Seinsvergessenheit.

Erinnere mich hierzu nicht ungern noch an ein Essay meinerseits, welches sich mit dessen Theorie der drei (sukzessiv erlebbaren) Lebensstadien beschäftigt hatte. Demnach durchlebt ein Mensch zunächst das ästhetische Stadium: Er lebt für den Augenblick und strebt nach dem Genuss und nimmt, gleichsam einem Romantiker, ein sehr spielerisch ausgeprägtes Verhältnis zur Wirklichkeit ein. Gefolgt vom ethischen Stadium, in welchem der Mensch zum Pflichtmenschen wird, indem dieser in einem jetzt vom Lebensernst bestimmten Leben konsequente Entscheidungen trifft und moralische Maßstäben akzeptiert und konstituiert. Er lebt jetzt mehr nach dem „Entweder - Oder - Prinzip“. Doch dieses Stadium endet, so Kierkegaard, in einer Angst des Alleinseins vor der freien Wahl der Möglichkeiten, welche diesem gleichzeitig die Grenzen seiner Freiheit vergegenwärtigt. An dieser Stelle könnte der Mensch wieder ins ästhetische Stadium zurückfallen oder er wagt, so Kierkegaard, diesen Schritt ins dritte, nunmehr religiöse Stadium. Hier macht der Mensch die Erfahrung, dass das Zurücklassen der Angst und der Verzweiflung nur durch die Gnade Gottes möglich ist.

Aufbauend auf dessen eigenen Leitsatz: „Jeder verhält sich zu sich selbst“ und (von mir) von dessen religiöser Vorprägung bereinigt, wagte ich damals im Seminar jenen Diskussionsansatz, ob dieses dritte Stadium nicht eher von der subjektiviert hermeneutisch analysierten Quintessenz der bis dahin angereicherten Lebenserfahrungen bestimmt wird; was mir aber vor diesem Auditorium gründlich misslang.
 
Er lebt für den Augenblick und strebt nach dem Genuss und nimmt, gleichsam einem Romantiker, ein sehr spielerisch ausgeprägtes Verhältnis zur Wirklichkeit ein.

Der Prototyp eines solchen ästhetischen Lebens ist für Kierkegaard dabei Don Juan:

"Don Juan will sinnlichen Genuss, er will das Leben genießen und immer neue Frauen verführen. Kierkegaard beschreibt ihn dabei als jemanden, der stets im Augenblick lebt. Don Juan kennt keine langfristigen Zielsetzungen, auch reflektiert er nicht darüber, was er gestern tat, nein: Stets geht er im Moment auf. [...] Wer nur im Augenblick lebt, kann keine Verantwortung übernehmen, er kann aber auch nie ein schlechtes Gewissen empfinden. Gerade diese pure Sinnlichkeit, die jegliche Moral und alles Denken an etwaige Folgen suspendiert, macht Don Juan für Frauen attraktiv, so Kierkegaard. Sie spüren, dass sie es hier mit animalischer Begierde zu tun haben, dass sie auf jemanden treffen, der sich nimmt, was er will, und alles andere ausblendet. Eben das macht Sinnlichkeit für Kierkegaard aus: Man vergisst, was war und was sein wird und gibt sich voll und ganz dem Augenblick hin." Zitat aus dem Sachbuchteil des Romans: "Die Nacht der Fragen und der Morgen danach".
 
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Es gilt eine Wahrheit .....png

Das Zitat bringt vieles auf den Punkt, was Kierkegaard umtreibt. Es geht nicht um abstrakte Wahrheiten und Einsichten, sondern um das eigene Leben. Und nur um das. Zugleich lese ich in diesem Satz auch jede Menge Pathos heraus, der wohl nicht ganz untypisch für die Jugend ist.
 
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