Gruppenverhalten und Individualisierung
Hi Bernd,
hab`tatsächlich bei meiner Antwort eher auf die "massenpsychologische" Wirkung abgezielt und nicht Deine Frage nach dem Pomp und Zauber herausgehört.
Möchte dennoch dazu meine Gedanken darlegen.
Bernd schrieb:
Das verstehe ich nicht. Warum soll Bandenverhalten wichtig sein? Und warum soll „Dazugehörenwollen“ ein Zwischenschritt zu Individualität sein?
Sind Rückenschmerzen und anschließende Bandscheiben-OP nicht eher Entwicklungsschritte hin zur Frühverrentung, als zur körperlichen Befreiung?
Ich glaube, dass das "Dazugehörenwollen" ein Zwischenschritt zur Individualisation ist, weil mir dies aus der Entwicklung des Menschen heraus auffällt:
Das Kleinkind befindet sich zu Beginn seines Lebens in totaler Abhängigkeit von seiner Umgebung. Ungefragt werden sämtliche Anschauungen und Verhaltensmuster übernommen. Die Autorität der Autoritätspersonen wird nicht angzweifelt. In der Gruppe sucht das Kind Geborgenheit und erwartet, dass alle seine Bedürfnisse befriedigt werden.
Mit der ersten Wahrnehmung der ICH-Identität fängt erstes Aufbegehren an.
Das Kind weist immer wieder auf seinen eigenen Willen hin. Auch die Trotzphase fällt da hinein. Dennoch wird in "Gefahrensituationen" der Schutz der Vertrauenspersonen gesucht (no na!)
Mit größerer Individualisierung (die häufig mit dem Schulalter zusammenfällt) merkt das Kind, dass es auch andere Gruppierungen als die gewohnte familiäre gibt. Gleichgesinnte (Spielkameraden) werden gesucht und gefunden. Es taucht die Frage auf "Bist Du mein Freund?". Das Kind wählt sich seine Partner aktiv und lernt die eigene Macht kennen ("Du bist nicht mehr mein Freund.")
Schutz vor Angriffen (und die gehören nun auch ordentlich dazu) bietet nun vorrangig die gewählte Gruppe (=Bande).
Dies ist auch dafür hilfreich, um die gewohnten Autoritätspersonen (Eltern, Lehrer) in Frage zu stellen und herauszufordern.
Dennoch wird das Dazugehören zur gewohnten "Sippschaft" (=Familie und Umfeld) absolut nicht in Frage gestellt.
Wohl werden die Grenzen ausgelotet - doch nur um sich bessere Freiräume zu schaffen.
Mit dem Einsetzen der Sinnfragen "Was soll das Ganze?", "Wer bin ich?" wird auch die ursprüngliche gewohnte Gruppe und deren Regeln und Normen in Frage gestellt.
Bei konsequenter Infragestellung des bekannten Systems ist die "totale Vereinzelung" die Folge. Der Mensch kommt drauf, dass er bei allen Entscheidungen immer wieder auf sich selbst gestellt ist. Ein Dazugehören zu einer Gruppe scheint nicht möglich, da immer wieder Gewissenskonflikte gegenüber dogmatischen Verhaltensregeln entstehen.
Die innewohnende Angst vor dieser Vereinzelung kann zur Suche von doch noch passenden Gefährten und Gruppen sein, wobei deren Spielregeln dann in der Folge nicht gerne in Frage gestellt werden, weil sonst----> Vereinzelung droht.
Erst mit dem Mut, zu sich selbst zu stehen, hört das große Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer größeren Personengruppe auf. Vielmehr werden die Verhaltenskodices und Dogmen als viel zu einengend erlebt.
Stattdessen werden in späterer Folge allmählich Gleichgesinnte gefunden, mit denen individuelle Gemeinschaften möglich sind.
Bernd schrieb:
Ich meinte eher...warum fühlen sich die Menschen in diesen Inszenierungen und dem Glanz so wohl. Ich würde es garnicht mal so weit wegschieben...die meisten Menschen die ich kenne, mögen es, wenn sie in einem luxuriösen Hotel wie Könige behandelt werden, aber warum? Ob sie dabei für einen Augenblick am Glanz ihrer ICH-Ideale schnuppern? Oder verleiht es dem Menschen eine Illusion von Macht oder Aufmerksamkeit? Oder bedeutet der vorgespielte Reichtum und Glanz „etwas Allgemeingültiges und Wahres“, diesen Zusammenhang z.B. verstehe ich auch nicht.
Deine eigene Antwort auf Deine Frage passt mEn vollkommen zu meiner Ansicht.
Solange jemand Inszenierungen von Pomp und Glanz huldigt; sich gerne im Licht von anderen sonnt (Fanverhalten) oder sich zeitweise im Luxus schwelgend wie ein König aufführen muss, zeigt das für mich, dass dieser Mensch sich nicht voll und ganz getraut, zu sich selbst zu stehen - und seinen eigenen Wert und seine eigene Größe noch nicht kennt.
Ist das einmal erreicht, sind "falsche" Inszenierungen nicht mehr nötig.
Wann welches Verhalten und welche Sicht beim jew. Menschen einsetzt ist individuell sehr verschieden. Manche Menschen bleiben hinsichtl. ihrer sozialen Entwicklung ihr Leben lang "Kinder".
Andere individualisieren sich so früh, dass ihnen Gruppenzwang seit sie denken können suspekt ist.
Ich persönlich habe die Teilnahme an Großveranstaltungen schon immer als kindisch empfunden.
Und die "königliche" Behandlung in Hotels ist mir insofern zuwider, als ich nicht will, dass manche Personengruppen andere Menschen "bedienen" müssen.
Im Falle von gegenseitigem Gutes tun habe ich allerdings gegen Luxus keinerlei Bedenken.
Und ich muss zugeben, dass ich in meinem Leben einen gewissen Luxus und Lebensstandard nicht vermissen möchte. Dies soll jedoch nicht zu Lasten von anderen gehen.
Jedoch erfordert die Toleranz auch die Kenntnisnahme, dass nicht alle anderen das genauso sehen müssen wie ich.
Und auch wenn ich diesen Personen zugestehe, anders zu denken, richtet sich mein Verhalten nicht nach deren Anschauungen, sondern lediglich nach meinen eigenen Grundsätzen und eigenen Gefühlen.
So - aber jetzt reicht´s mit Schwofeln.
lg Kathi