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Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch

Zeilinger

Well-Known Member
Registriert
22. Mai 2004
Beiträge
16.501
Hallo !

Ich glaube, eine Mehrheit zu finden mit der Ansicht, dass wir meistens anders schreiben als sprechen; damit meine ich jetzt nicht nur die verschiedenen Dialekte (die übrigens auch oft geschrieben werden).

Dieser thread soll aber - nicht nur - eine theoretisch-wissenschaftliche Abhandlung des Spannungsfeldes Schreiben/Sprechen werden, sondern auch oder vor allem praktische Beispiele bringen, wo die eine Ausdrucksform der anderen überlegen ist.

Ich fange einmal mit einem (Beispiel) an und bitte um rege Beteiligung.

---------------------------

Kreativ,
konstruktiv,
produktiv und
intitativ​
sind eigentlich gar nicht tief.

----------------

In einem österreichischen Dialekt wird ein
Abszess - Gasbock (das ist wiederum ein Ziegenbock) genannt.
die Achselhöhle - Iaxn.​

Jetzt die (tatsächlich passierte) Geschichte dazu. Ein 10-jähriges, mit dem Dialekt aufgewachsenes Mädchen konnte ein paar Tage die Schule nicht besuchen, weil sie unter der Achselhöhle ein Abszess hatte. Wieder beim Unterricht wollte sie sich gewählt und in der Hochsprache ausdrücken und sagte auf die Frage der Lehrkraft, wo sie gewesen sei: "Entschuldigen Sie bitte, Frau Lehrerin, dass ich nicht zur Schule kam, ich habe unter der "Ixe" einen "Ziegenbock" gehabt."

Liebe Grüße

Zeili
 
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AW: Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch

Ein sehr interessanter Thread! :)
Soll es dabei nur um den Widerspruch zwischen gesprochenem und geschriebenem Deutsch gehen, also im weitesten Sinne Orthografisches, oder auch Grammatik im Sinne von Sicks "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" bzw. "Hier ist der Spaß gratiniert."?
Oder auch ein Problem z. B. unserer Gegend, formuliert so "Mir und mich verwechs'lich nicht, das kommt bei mich nich' vor!"
 
AW: Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch

Bin auch sehr erfreut über diesen interessanten Faden ~
vielen Dank ~ lieber Zeilinger....

Beispiel Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch:
Ich kenne keinen der Käse sagt, aber viele Kese (HOCHDEUTSCH)
und solche Beispiele gibt es zu genüge...

Siehe https://www.denkforum.at/threads/9786

Aber das interessante ist die angesprochene Sprachlogik ~

Eigentlich ist das Deutsche doch so deutlich und klar,
doch man ver_klärt es, ver_deutlicht es und scheitert deshalb, weil eben die Sprache nur eine Abbildung der Wirklichkeit ist. Mit den Worten des überragenden Sprachlogikers Wittgenstein ausgedrückt: "Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache.“ Satz 4.001 Tractatus und eben nicht die Gesamtheit der Welt. Wir leben aber mit und in der Welt ~ als Umwelt ~ Innenwelt ~ Außenwelt ~ Kosmos usw. und nicht in Sätzen. Diese Differenz zwischen Welt und Sätze ist das Un_ver_ständnis/Miss_ver_ständnis...

Das Fühlen und Denken ist immer viel intensiver und gehaltvoller als jedes in logisch strukturierte Muster gepresste Sprachschemata. Erlebnisse der ganz besonderen Art können wir eben nur be_schreiben, eine Art Abbildung der Wirklichkeit schaffen, die selbst nicht Wirklichkeit sein kann.

Dennoch gibt es Pioniere, wie der Deutschlogiker Tilo Kaiser, welcher an der Front daran arbeitet, die Sprache im Sprechen und Schreiben so zu reformieren, dass die Sprache aus der Ver_klärung geklärt werden kann. (Hat gar nichts mit "clearing" von der Scientology zu tun)

"Denn wenn die Sprache nicht stimmt, ist das, was gesagt wird, nicht mehr das, was gemeint ist."

Doch wer stimmt sich ein ~ fühlt und wortelt mit???
https://www.denkforum.at/threads/6698

Ich denke es wird noch viel gewortelt werden, um eine Besserung der Sprachklarheit zu erreichen...

Nach Wittgensteins logischem Sprachkonzept, gäbe es nur noch Verben und Substantive. Es gibt wohl auch Sprachen der Ureinwohners des Amazonas, welche keine Substantive kennt, sondern diese in Verben kommuniziert werden, weil ja alles in einer Art Bewegung/Änderung/Tätigkeit/Prozess ist.

Lieben Sonntagsgruß
Axl
 
AW: Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch

Kreativ,
konstruktiv,
produktiv und
intitativ
sind eigentlich gar nicht tief.

Das Krea_tive und Initia_tive kommt aber aus der Tiefe empor. Initiative => Anfang, als Zündung oder Kreativität als Brennen......
Das Konstruk_tive baut über die Tiefe eine Brücke. Siehe Konstruktion => zusammen bauen
Das Pro_duk_tive ist FÜR das Bücken (duk) über die Tiefe. Also eine Anstrengung.

Das Trennen der Silben und das Suchen nach deren eigentliche Bedeutung ist eine Variante des Deutschlogikers Tilo Kaiser... Vielen lieben Dank dafür Tilo.

Die Vorsilben verraten schon die Richtung in der das Hauptwort oder der Wortstamm führt...

Beispiel:

Ein Ver_sprecher ver_spricht sich, aber er spricht eben nicht.
Dennoch geben wir Ver_sprechen und ver_trauen auf diesen Ver_sprecher.
Einmal das Ver_Sprechen als Absicht in die Zukunft, ein Art Ver_Sicherung, aber keine Sicherheit. Ein anderes Mal schon als Fehler an sich erklärend, wenn ich mich eben ver_sprochen oder ver_schreibe habe.......................
 
AW: Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch

Ein sehr interessanter Thread! :)
Soll es dabei nur um den Widerspruch zwischen gesprochenem und geschriebenem Deutsch gehen, also im weitesten Sinne Orthografisches, oder auch Grammatik im Sinne von Sicks "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod" bzw. "Hier ist der Spaß gratiniert."?
Oder auch ein Problem z. B. unserer Gegend, formuliert so "Mir und mich verwechs'lich nicht, das kommt bei mich nich' vor!"
Nicht nur um Widersprüche, auch nicht nur um Grammatik, es können auch amüsante, zweideutige Beispiele sein.

Bei vielen Rednern hat man den Eindruck als würden sie nur Geschriebenes lesen; das ist dann keine Rede, sondern eben eine Lesung. Diese Leute, bei deren Reden man oft ob ihrer Schachtelsätze einschläft, ordnen die gesprochene Sprache total unter die schriftliche Sprache unter. Ich finde das nicht angebracht, jede Ausdrucksform hat ihren eigenen Charakter und ihre eigenen Vor- und Nachteile.

>AktivFreidenker:
Danke für Deine interessanten, theoretischen Ergänzungen.

Liebe Grüße

Zeili
 
AW: Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch

Heute stieß ich wieder einmal auf das "schöne" Wort Rückbau als verschämte, scheinbar konstruktiv-positivistische Umschreibung bzw. Verniedlichung des destruktiven, brutalen Wortes "Abriss".
Man kennt Auf- und Abbau, Bau und Abriss. Aber Vor-Bau oder Hin-Bau als Antonyme zu Rückbau?
Kann man etwas rückbauen oder bauen wir rück?
 
AW: Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch

der Weg ~ bin weg (in Westfalen sagt man: "Wo kommst de wech?" = Wo kommst Du her, auf Hochdeutsch)

Warum man bei selber Schreibweise anders ausspricht, finde ich komisch.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch

Heute stieß ich wieder einmal auf das "schöne" Wort Rückbau als verschämte, scheinbar konstruktiv-positivistische Umschreibung bzw. Verniedlichung des destruktiven, brutalen Wortes "Abriss".
Man kennt Auf- und Abbau, Bau und Abriss. Aber Vor-Bau oder Hin-Bau als Antonyme zu Rückbau?

Rückbau und Abriss ist für mich etwas anderes.
Abriss ist eine Party, wo man die Hütte auf links krempelt (verrückte Sachen macht) oder ein Abriss eines Gebäudes, einer Anlage usw., um etwas Neues zu bauen

Ein Rückbau wäre für mich die Herstellung eines vorherigen Zustands.

Kann man etwas rückbauen oder bauen wir rück?

Ich würde zurück bauen oder wir bauen etwas zurück sagen......
 
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AW: Schriftdeutsch versus gesprochenes Deutsch

der Weg ~ bin weg (in Westfalen sagt man: "Wo kommst de wech?" = Wo kommst Du her, auf Hochdeutsch)

Warum man bei selber Schreibweise anders ausspricht, finde ich komisch.

Ist es aber gar nicht, sondern erklärt sich aus der Entwicklung der deutschen Sprache, hier speziell der niederdeutschen Dialekte in den sogenannten gebildeten Kreisen.

Nach der theatersprachlichen Normierung des Hochdeutschen durch Siebs wird nur das Suffix "-ig" wie "ich" gesprochen.
Also: Könich, Honich, Pfennich, wenich, lustich, durstich.

Da aber die Oberdeutschen, also Bayern, Schwaben, Allemannen und Franken "-ig" nag wie vor wie "ig" sprechen, machen sie die Norddeutschen sig lustich über die Süddeutschen, merken aber nicht, dass sie sich mit iher Fonetik mindestens ebenso lächerlig magen.

Göte schrieb nog Mädgen, sprag das aber siger als "Meedschen" aus.

Diese Weichlautung des "g" am Ende eines Wortes schreibt sich von dem Hansedeutsch, auch "Missingsch" genannt, der Schrift und Verkehrssprache aller Hansegebiete bis etwa Anfang des 17. Jhdts.

Nach dem Zerfall der Hanse verschwand auch das Hansedeutsch. Die einfache und "ungebildeten Leute" blieben bei ihrem regionalen Platt.

Das wollten aber die "(ein)gebildeten, besseren Leute" nicht, weil dies eben bäuerisch-primitiv war.

Also übernahmen sie die oberdeutsche Schreibung, sprachen diese aber so aus, wie sie es nach ihrer Fonetik kannten. Sie hielten sich also an die Ortografie, schrieben nach der Schrift und sprachen auch nach der Schrift. Daher der Eindruck, dass sie "Hochdeutsch" sprechen.

Die Bayern und Schwaben schrieben auch nach der Schrift, sprachen aber, wie ihnen der Schnabel gewachsen war.

Als nun im 2. Reich der Vereinheitlichung von Maßen, Gewichten, Münzwesen angesacht war, haben die Herren Duden und Siebs diese Normierung vorwärts getrieben.

Duden legte fest, dass die Verben "stehen, liegen, sitzen" das Hilfsverb haben haben, also heißt es auf Hochdeutsch:

Ich habe gestanden.
Ich habe gelegen.
Ich habe gesessen.


Damit machte er dreißig Millionen Deutsche zu Sprachdackeln.

In Süddeutschland nimmt man aber immer noch das Hilfsverb "sein", also heißt es:

I ben gstanda.
I ben glega.
I ben gsessa.


Das wird auch schon seit einem halben Jahrhundert von der Duden-Redaktion anerkannt.

Und Siebs legte fest, das "ig" wie "ich" gesprochen werden müsse. Damit machte er dreißig Millionen Deutsche zu Sprachdackeln.

Auch das sieht man inzwischen lockerer.

Ich will da auch noch mal daran erinnern, dass "Hochdeutsch" eine rein schriftliche Norm ist. Das hat zur Folge, dass niemand in ganz Deutschland und der ganzen Welt hochdeutsch schbricht! Ned môl i!

Gruß Fritz
 
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