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Nicht für jedermann

TheoTheo

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9. Oktober 2022
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261
Ich fahre und schalte das Radio an, zum vielleicht siebten Mal in drei Jahren. Mir ist nach Musik, eigentlich ist es mir immer danach, es bringt ja nichts, nur Gefühle, zu alt zum Reproduzieren. Jedenfalls läuft dieses Lied und ich denke, dass es mir nie etwas bedeutet hat. Nicht, dass ich es schlecht gefunden hätte oder so, aber gut schon gar nicht. Es hatte kein Nostalgiepotential, bis heute. Also knalle ich mir das Ding in die Ohren und Filme in meinem Kopf eine Szene, deren Regisseurin ich nicht bin.

Wir tanzen. Eigentlich tanze ich dich an, indem ich deine Hände nehme und okay, ein richtiger Tanz ist das nicht, aber das ist jetzt auch egal. Wir lachen auch. Vielleicht wie früher oder auch ganz anders. Keine Ahnung. Es gefällt mir, unser Getanze, ohne Schuhe, in meinem Wohnzimmer.

Ich drehe das Radio auch lauter, mein Tinnitus hält endlich einmal das Maul. Und in meinem Kopf läuft dieser Film, der dann aufhört, als jemand dazwischenquatscht. Ich weiß, ich schreibe es aber trotzdem so.
Der Traumfilm, andere würden es möglicherweise Kopfkino nennen, geht zwar nicht weiter, er ist aber ab jetzt mit diesem Scheißlied gekoppelt. Ich bin mir sicher, in Zukunft triggert mich der Song.

Ich fahre fast unbeirrt weiter und tataaaa grölt Grölemeyer los. Mit meinem eigentlichen Lieblingslied von ihm (nicht zuletzt wegen Polina Semionova), dem Verräter. Ich wollte ihn nicht mehr leiden können, ich schaffe es nicht unbedingt, jedenfalls nicht immer. Heute nicht. Und weil ich wirklich wirklich anfällig bin für Musik und Versinken und so, kriegt er mich an diesem Morgen. Und ja, ich hatte es damals ausgesucht. Damals, kurz vor unserer Zeit. Für uns ausgesucht, also für dich. Daran denke ich, während die tägliche Landschaft unbemerkt an mir vorbeizieht. Wie alles so nach und nach vorbeizieht und aus meinem Fokus verschwindet.


 
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Fünf Minuten später komme ich an und der Kerl von Donnerstag scheint angewachsen zu sein. Er fummelt mit irgendetwas herum. Es ist nicht unbedingt meine Art von Humor, im Januar, ohne Eingangstüre an meinem Arbeitsplatz herumzuhocken. Ich versuche den Typ zu ignorieren, er redet jetzt laut in sein Handy und es ist scheißekalt in diesem Loch. Das mit dem Ignorieren klappt auch nicht lange, er will einen Kaffee, den ich seit Jahren nicht mehr trinke und infolgedessen kann ich mich blöde stellen, was die Bedienung des Automaten angeht. Leider trinkt er das Zeug schwarz, ich habe nämlich keine Milch für ihn und auch sonst nichts.

Ich versuche mir Hoffnung auf eine Zukunft mit geschlossenen Türen zu machen, ohne Erfolg, meine Hoffnung ist verbrannt. Wie es scheint, in allen Bereichen.

Die Sache wird im Laufe des Vormittags immer lästiger und es hängt mir schon um 10:00 Uhr alles zum Hals heraus. Offenbar ist die Türe total interessant, jedenfalls solange sie nicht montiert ist und irgendwelche Decken abgebaut werden müssen; kommt der halbe Hofstaat angereist, um was auch immer zu begutachten. Ich versuche es weiter mit Ignoranz und damit, wenigstens die Innentüren geschlossen zu halten.

In Wirklichkeit schleppe ich die Lautsprecher zu meinem Schreibtisch und suche die passenden Anschlüsse und Kabel und so. Ich will nochmal den Tanztraum von eben. Der Typ mit dem Kaffee fängt jetzt an, vor meinem Büro zu bohren. Ich schätze schwarze Löcher, in Wände. Mein Tinnitus schreit los. Ich finde das Stromkabel für die Boxen nicht.

Kein Ton, kein Traum.
 
Ich sehe ihn kommen, den Alptraummonat des Jahres 2023. Gerade habe ich den November und alles danach überlebt und jetzt droht der Februar mich zu verschlingen. Seit Neuestem hat er einen Jahrestag, einen der bis zum Ende bleibt. Das lässt ja, so wie es aussieht, auch nicht mehr ewig auf sich warten.
Mein Rippengelenk fühlt sich an, als hätte es jemand in einen Schraubstock gequetscht, eigentlich mein kompletter Brustkorb, die alte Leier. Ich habe lediglich ein Taschentuch aufgehoben, eine Aufgabe an der ich seit Jahren immer wieder scheitere. Mir ist aufgefallen, ich halte mich viel am Boden auf, ohne genau zu erkennen, was das zu bedeuten hat.

Schon beim Betreten des Raumes stelle ich fest, dass hier ganz und gar etwas nicht stimmt. Es riecht nach Essen und nachdem uns stolz die selbstgebaute Küche präsentiert wird, ist klar, die Alte hat gekocht und einen an der Schüssel. Riesige Pfannen mit Unmengen an irgendetwas stehen herum. Sie braucht unbedingt Aufmerksamkeit und prahlt damit, im Notfall 700 Essen herausgeben zu können. Ich quäle mir ein Lächeln ab, innerlich bin ich angeekelt von den Applaudierenden.
Wir latschen in den Gruppenraum, der bereits gut gefüllt ist und uns wird ein Tisch zugewiesen, der mittig an einem Ende des Raumes steht, Präsentierteller sozusagen. Auf allen Tischen liegen Süßigkeiten, auf unserem gähnende Leere, nicht einmal ein Glas Wasser. Seltsame Gastfreundlichkeit, und das bei den unbegrenzten Möglichkeiten hier.

Ich versuche also mein Ding so gut es geht durchzuziehen, ich lache sogar mit, wenn die anderen lachen, okay, das ist gelogen. Ich möchte nicht unbedingt ungut auffallen. Naja.
Die Alte mit der Küchenneurose hat offenbar irgendeinen Braten gerochen, kein Plan was mit der nicht richtig ist, jedenfalls fordert sie mich, bei jeder sich ihr bietenden Gelegenheit, mit unsinnigen Provokationen heraus. Kaum mache ich eine Pause, einfach um Luft zu holen, geht sie auf mich los. Ich meine klar, warum nicht eine Veranstaltung sprengen? In mir gibt es einen riesigen Schlund der Ödnis, ich spüre wie er sich öffnet, um die arme Irre zu verschlingen.
Kurz darauf ist die Hölle los. Hysterische Beleidigungen und Herumgekreische fliegen mir um die Ohren. Ich räume das Feld.

Draußen ist es dunkel, kalt und es nieselt. Ich zünde mir eine Zigarette an und steuere auf mein Auto zu.
Der Typ sieht aus, als würde er hauptberuflich Autoscooter fahren. Er fotografiert mein hinteres Nummernschild und was weiß ich noch. Meinetwegen. Als ich die Fahrertüre öffne, quatscht er mich voll und hindert mich am Einsteigen. Ich parke augenscheinlich auf einem Burger King Parkplatz, ohne den Laden betreten zu haben. Das stimmt. Ich sehe, dass hinter meinen Vorderrädern eine Eisenstange liegt, die der Kirmesvogel da hingelegt haben muss und fordere ihn auf, diese zu entfernen. Er weigert sich. Meine Glückssträhne scheint nicht abzureißen, wo kommen diese ganzen Verrückten her?
Das Gespräch entwickelt sich in eine Richtung, der ich nicht folge, er bedroht mich, entweder ich zahle ihm jetzt sofort den abgebrochenen Einsatz oder er schleppt meine Karre wohin auch immer. Ich schiele nochmal unter mein Auto und kann außer der Eisenstange nichts erkennen. Es handelt sich eigentlich um zwei Stangen, die an den Enden durch eine Kette miteinander verbunden sind. Eine liegt vor meinen Vorderrädern und eine dahinter. Meine Räder sind eingequetscht wie die Milchcreme zwischen zwei Oreokeksen.

Sein Schlepper steht mit dem Arsch direkt an meinem Kühlergrill, auf seiner Stoßstange oder wo auch immer, prangt ein Aufkleber „Ich schleppe auch Flüchtlinge aus der Ukraine“. Lieber Gott! Ich reagiere nicht wie er sich das so vorstellt und jetzt beginnt er einen Affentanz aufzuführen und will meine Papiere sehen. Ich glaube mein Schwein pfeift, lasse die Kippe fallen und steige in meinen Volvo. Der Vogel macht große Augen, aber höchstens für eine Sekunde, dann macht er auf dem Absatz kehrt und hechtet in seine Karre. Jetzt geht es darum wer schneller ist und ich ramme den Schlüssel ins Zündschloss, innerlich bete ich ein Stoßgebet, dass nicht wieder ein Schlüsselfehler gemeldet wird und der Motor nicht reagiert, das passiert ungefähr bei jedem zweiten bis dritten Startversuch. Ich bin ein Glückspilz, er springt unverzüglich an, ich knalle den Rückwärtsgang rein und trete aufs Gaspedal. In der Erwartung schon angekettet zu sein und in den nächsten Sekunden eine Stoßstange oder sogar eine ganze Achse zu verlieren, setze ich zurück. Es passiert genau nichts und ich brettere über sein lächerliches Hindernis und lasse diese absurde Szenerie zurück. Sonst nichts. Ich habe immer alles bei mir. Der Abschlepper klettert aus seiner Gurke und glotzt mir hinterher. Wenigstens nimmt er nicht die Verfolgung auf. Was für eine Scheiße und es ist erst Januar, ich fange erst gar nicht damit an, mich zu fragen, wie es weitergehen soll.
 
Es geht weiter. Ich habe den Lautsprecher an meinem Diensthandy eingeschaltet, weil ich nicht möchte, dass mein Gesicht damit in Berührung kommt. Ich sitze im Zuhausebüro in meiner Küche und lausche, nur halbkonzentriert, der Stimme, die mich nicht einnimmt und durch den Raum wabert, als plötzlich alle Geräusche seltsam klingen und ein Pfeifen und Summen in meinem rechten Ohr einsetzt. Mir ist sofort klar, was die Stunde geschlagen hat, immerhin erlebe ich das nicht zum ersten Mal. Hahahaaa nein, auch nicht zum zweiten Mal. Ich habe aufgehört zu zählen, aber 3 Hörstürze bekomme ich zusammen. Leider kann ich das Gespräch nicht im Handumdrehen beenden, ich meine, selbst ich habe so etwas wie ein Pflichtgefühl.
Hektisch suche ich meine Hörgeräte, Überbleibsel vom letzten Sommer, um das Konzert in meinem Kopf durch Rauschen zu verschleiern. Eigentlich klappte das ganz gut, beim letzten Mal.

Entsetzt stelle ich fest, dass die Batterien leer sind, beide. Das macht die Sache nicht unbedingt besser, ich weiß aber, dass ich Reserven habe. Die Frau am Ende der Welt, nein, am Ende einer Leitung, die es ja so nun auch nicht mehr gibt, bemerkt vorerst nichts. Leider ist sie nicht besonders gesprächig und wartet ständig auf Fragen oder Antworten von mir, ich habe beides nicht.
Endlich rauschen die Teile und ich werde blass, als ich feststelle, dass mein rechtes Ohr nichts wahrnimmt, kein Gerausche. Ich tausche die Dinger in der Hoffnung, eines hätte trotz gelungenem Batteriewechsel keinen Saft. Fehlanzeige, mir ist es kotzschlecht, eine Hand greift in meine Eingeweide und drückt zu. Am anderen Ende der Welt herrscht inzwischen Funkstille, sie wartet verwundert auf meinen Einsatz und steht auf der Leitung. Jetzt scheiße ich auf meine Pflichtgefühle und auf die Gefühle der Frau mit den Erwartungen und beende das Gespräch, nur um Sekunden später meinen HNO Arzt anzurufen. Es nimmt niemand ab, auch nicht beim zweiten, dritten und vierten Versuch. Ich fahre hin, sofort.

Auf der Fahrt wird mir klar, dass nichts zu machen ist. Es gibt ja nichts, was das ändern könnte. Vielleicht wenn jemand etwas hineinflüstern würde, vielleicht würde es doch etwas ändern. Ich meine, nicht irgendjemand, schon klar, oder? Dann fällt mir aber ein, niemand liebt niemanden.

Die Frau hinter ihrem Tresen trägt eine Staubmaske und glotzt mich über deren Rand hinweg fragend an. Ich sehe nirgendwo Handwerker, keine Bohrmaschinen, keine Sprühpistolen, nichts Staubiges. Anhand ihrer Gestik, Mimik ist ja nicht erkennbar, ahne ich, dass sie versucht mir etwas mitzuteilen. Sie wedelt mit ihren Händen vor dem Staubding herum und ich meine gedämpft das Wort „Maske“ gehört zu hören. Irritiert schaue ich mich nochmal um. Unverständlich, dass so mit Hörgeschädigten umgegangen wird. Vielleicht eine Art Training, damit sich die Halbtauben an eine neue Form der Kommunikation gewöhnen? Oder ein erster Hörtest? Ich glotze zurück, ziehe meine Schultern und meine Stirn gleichzeitig hoch und schüttele meinen Kopf, um deutlich zu machen, dass ich keinen Schimmer davon habe, was sie von mir möchte. Unsere Art der Verständigung scheitert, offenbar versteht mich die Frau nicht. Ich breche das Schweigen, um ihr meinen Verlust zu schildern. Sie ist nicht interessiert und wedelt weiter mit ihren Händen an der Stelle vor ihrem Gesicht herum, wo der Plastikstoff ihren Mund verdeckt. Ich übersehe das jetzt einmal, mein Zustand ist immerhin kritisch und mir fehlt die Energie, mich länger mit ihrem Quatsch zu befassen. Also mache ich ihr unmissverständlich unter Einsatz meiner Stimmbänder klar, dass ich einen Hörsturz habe und sofort zu einem Arzt will. Sie frisst es. Leider ist aber jeder der drei Ärzte gerade in der Mittagspause, sie geht trotzdem los, um einen zu suchen.

Mit einer sogenannten Verordnung verlasse ich nur Stunden später die Praxis, inzwischen schwindet draußen merklich das Licht. Innen ist bereits alles zappenduster.
Ich stelle täglich fest, dass sich nichts ändert. Was vor den Schüssen schon erkennbar war, ist jetzt nicht mehr zu übersehen. Eine bemerkenswerte „Nicht Ansprechbarkeit“ hat sich breit gemacht und die unsterbliche Liebe starb, als es bequemer war, sie zu entsorgen wie Abfall.


 
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Ich höre der Frau zu, also ich versuche es. Mir ist ohnehin schon klar, worauf sie hinaus will. Eigentlich sollte sie mir zuhören, die Rollen sind vertauscht, eine Ausnahme und ich bereue sie bereits. Zwei Stunden vergeudete Zeit, die ich in zwei Stunden nicht mehr erinnern werde.

Ihr Plan ist, mich zu motivieren nicht authentisch zu sein, um gewisse Menschen zu besänftigen, um mir keine Nachteile einzuhandeln. Will sie mich verscheißern? Sie erzählt außerdem etwas darüber, dass es Leute gibt, die nicht mit Absicht auf meinen Füßen stehen, sondern, weil sie nicht anders können. Ist klar. Ich unterdrücke ein Gähnen und paradoxerweise auch den Impuls aufzustehen und nach Hause zu fahren.
Möglicherweise hat mir eine Stimme aus dem Off geflüstert, dass da kein Zuhause ist; ich bleibe sitzen.
Jetzt will sie wissen, wo das alles enden soll. Sie hat keinen Schimmer wer ihr gegenübersitzt und infolgedessen auch keinen Hebel, den sie ansetzen kann, um mein Gehirn auszuhebeln. Und keine Kurbel, die die Wunschmaschine anschmeißt. Automatisch denke ich an Wim Thoelke im Windkanal der sich abmüht, herumfliegende Lose zu fassen zu bekommen. Seine Frisur und seine Kleidung geraten dabei völlig aus der Form, er ist dement.
Die Die Sache ist also völlig sinnlos, ich bin zu müde, mich darüber zu ärgern, lediglich das Gefühl von Einsamkeit breitet sich gemütlich noch weiter aus, als gewöhnlich. Scheiß drauf.

Auf der Fahrt übersehe ich einmal mehr den Kasten mit der Kamera und freue mich auf ein weiteres unscharfes Abbild für meine Sammlung. In Wahrheit gibt es keine Sammlung. Ich bin davon überzeugt, dass ich nur noch im Besitz meines Führerscheins bin, weil es rentabler für die Städte ist. Bei dem miesen Karma komme ich im nächsten Leben wahrscheinlich als Goldesel oder Milchkuh irgendwo in Indien an.

 
Keine Ahnung wen das interessieren soll, mich jedenfalls nicht. Ich bin damit beschäftigt XXL Pappen zu beschaffen und das ist aussichtslos. Nichts auf dem Markt, das ich für tauglich halte.
Ich telefoniere widerwillig, es ist Sonntag, meine Beziehung zu diesem Tag ist nicht erwähnenswert. Der Monolog aus dem Handteil scheint nicht mehr zu enden, mein Denken schweift ab, ohne mich. Ich bin nie mehr konzentriert, schon ewig nicht mehr, was unerklärlich ist, weil es nichts gibt, das meine Aufmerksamkeit so stark beansprucht, überhaupt in Anspruch nimmt, und deshalb auch kein Grund für Konzentrationsmangel erkennbar ist.

Ich lasse sie reden, Bitteschön, vielleicht rettet sie sich damit den Tag oder das Leben. Mir ist es ohnehin egal, ich muss nichts Dringendes denken oder machen. Nach knapp drei Stunden geht ihr die Luft aus und ich entsorge ihren Müll im Nirvana. Vielleicht hat er es auch gar nicht bis hierher geschafft.
Es macht mir nichts aus, die Gegend mit meinen Blicken zu durchlöchern. Mir nicht und der Gegend auch nicht. Wenn möglich halte ich alles geschlossen, auch meine Augen.

Hinter dem Haus brennt eine Kerze, bei dem Mond sieht der nächtliche Garten aus wie ein beseelter Ort. Oder mystisch, vielleicht kitschig, einfach ein Ort, an den er zurückkehren würde, könnte er es. Das denke ich nicht, das weiß ich.
Und ich habe keine Worte mehr, schon lange nicht und nichts, das mich bewegt und ich habe Schwierigkeiten über Nichts zu schreiben.
Ich habe es versucht, ich schwöre. Die besseren Zeiten sind vorbei, sinnlos auf sie zu warten.

Morgen früh geht der Zirkus von vorne los, eine weitere Runde, ich bin angezählt und zähle die Stunden, manchmal auch die halben. Und überlege, ob ich noch einen Tag schaffe und wie lange es dauert, bis ich wieder hier bin und nehme alles an Energie, was noch übrig ist, um nicht das Handtuch zu werfen.
 
Ich versuche es. Und muss zugeben, dass mir der blaue Himmel gefällt, streifenfrei mit gelbem Feuerball. Draußen sind es 15 Grad, ich weiß, der Frühling steht vor der Türe. Ein Glück ist er noch nicht reingekommen, wenn er erst einmal drin ist, mit allem was er hinter sich her zieht, bekomme ich die Türe nicht mehr zu und ruckzuck ist alles vorbei. Schneller als ich blinzeln kann. Jetzt habe ich das beste noch vor mir, lüge ich mir die Tasche voll. In Wahrheit habe ich es hinter mir, für immer. Spätestens Ende Juni erstarre ich in der Erwartung auf das, was danach kommt. Und wenn mein Ahorn im August das erste Blatt fallen lässt, ist klar, dass es das gewesen ist. Schon wieder.

Der Typ will mich verscheißern und taucht zum zweiten Mal nicht auf, dieses Mal ist seine Schwester gestorben, letztes Mal hatte er Knie oder so. Mir ist das egal, meinetwegen kann das Ding im Keller verrotten oder ich verschenke es.
Ich drehe den Hahn an meiner Badewanne auf. Drei Minuten später überlege ich es mir anders und ziehe den Stöpsel wieder heraus. Ich gehe in den Garten und begutachte die Löcher im Boden und unter den Steinplatten. Die Gänge führen unter den Schuppen, dort leben sie und gründen Familien und sehen fern und so. Ich habe keine Idee.
Einer meiner Mitbewohner hat sich nachhaltig erschreckt, als ihm so ein Teil begegnet ist. Seitdem läuft er psychotisch in der Gegend herum.
Als ich am Abend auf den Stufen vor meiner Terrasse sitze, kann ich die Sterne zählen, lasse es aber lieber. Es ist so warm, dass ich die Heizungen herunter drehe und so aussichtslos, dass ich ins Bett gehe.
 
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Der Wettergott gibt auch heute wieder alles, ich marschiere also in mein Gartenhaus und schnappe mir zwei, drei Utensilien. Mit einer Minihacke hebele ich die Betonplatten heraus und zwar so viele, bis die Gänge freigelegt sind. Es stinkt wie die Pest nach Zwiebeln, die aus mir unerklärlichen Gründen hier oben wachsen. Sie kommen auch mit in die Gänge, vielleicht mögen die Viecher keine Zwiebeln. Ich mache alles platt und trampele neue Erde fest, und weiß, es ist ein Provisorium. Wenn meine Laune mitspielt, werde ich alles in Beton legen lassen, es wäre zumindest ein Versuch. Im Moment muss meine Verlegetechnik ausreichen, vorübergehend. Zwei Stunden später bin ich nicht unzufrieden, wenigstens optisch ist der Plan aufgegangen, außerdem wackelt nichts mehr und der Psychotiker kann sich beruhigen.

Inzwischen sinkt die Sonne tiefer und tiefer, irgendwo bestaunen andere einen Sonnenuntergang. Der alte Mann ist wieder aufgewacht. Alle Befürchtungen und Ängste lösen sich in heiße Luft auf oder in sonst etwas und es wird hörbar wieder geatmet.
 
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