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Karfreitagsfürbitte

Miriam

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26. Juni 2005
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9.722
Mit dem Segen von Papst Bernedikt XVI, sollen zu Karfreitag die Pfarreien der Welt wieder für die Bekehrung der Juden beten.
Kein Wunder, dass verschiedene jüdische Kreise sich darüber empörten.
Dazu muss man natürlich wissen was genau diese Fürbitte ist und was sie enthält.

Doch erst mal zurück zum Sommer 2007. Damals hat Benedikt XVI vorgeschlagen bzw. es befürwortet, dass die Messe wieder nach dem alten lateinischen Ritus gefeiert, bzw. gelesen wird. Und als Basis dazu sollte das Messbuch von 1962 dienen – also jenes das vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) Gültigkeit hatte.

Was enthält genau diese Fürbitte die am Karfreitag gesprochen werden soll in ihrer Fassung von 1962?
Dass alle Juden Jesus Christus als Retter der Menschheit anerkennen sollen. Außerdem wird auch im Messbuch von 1962 von der Verblendung der Juden gesprochen und, dass diese der Finsternis entrissen werden sollten.

Man kann dies, wenn man es milde bezeichnet, nur als Antijudaismus sehen. Also ein deutlicher Rückschritt gegenüber alldem was im Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen wurde, der gefährliche Auswirkungen haben könnte.

Angesichts der Proteste die nicht nur aus jüdischen Kreisen zu vernehmen waren, wurde diese Fassung dann Anfang Februar etwas verändert. Nun heißt es wort-wörtlich:

«Lasst uns auch beten für die Juden, dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Retter aller Menschen erkennen (...) Allmächtiger ewiger Gott, der du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Gesamtheit der Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Durch Christus unseren Herrn. Amen.»

Auch diese Fassung, wohlwollend analysiert, enthält zumindest eines was man ihr vorhalten kann: sie missioniert.

Erstaunlich, dass der Vatikan eines nicht weiß oder nicht zur Kenntnis nehmen will: im Judentum ist das Missionieren verboten.
Sowohl das Missionieren um die Juden zu einem anderen Glauben zu bekehren, als auch das Missionieren der Juden für ihren Glauben.

Es sind aber nicht nur die jüdischen Kreise, ob religiös oder auch nicht, die diese Wende als sehr bedenklich erachten.
In der Zeitschrift "Herder-Korrespondenz" (erscheint im deutschen Verlag des Vatikans), wird die sinnvolle Frage gestellt ob über diese Fürbitte nicht "über den Umweg liturgischer Gebete theologische Irritationen entstehen – die möglicherweise gewollt sind".

Und was macht der Papst? Er persönlich wird morgen die Fassung der Karfreitagsfürbitte sprechen, die nach der Liturgiereform von 1970 vereinbart wurde. Also wird man ihm persönlich keine missionarischen Absichten vorwerfen können – oder auch andere Irritationen.

Die andere Version, die sich „Pro Judaeis“ nennt, überlässt er allen Pfarreien die die Messe in ihrer alten Form, also im Lateinischen morgen feiern.

Einen sehr lesenswerten Artikel zum Thema, fand ich auch in der TAZ vom 18. März:

http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/er-ist-wieder-auf-kreuzzug/?src=TE&cHash=a191f3093c



 
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AW: Karfreitagsfürbitte

Auch diese Fassung, wohlwollend analysiert, enthält zumindest eines was man ihr vorhalten kann: sie missioniert.
Was am Missionieren schlecht sein soll, ist mir unbegreiflich. Jeder Verein, jede politische Partei versucht laufend, neue Mitglieder bzw. Sympathisanten oder Freunde zu finden. Eine moderne Wettbewerbswirtschaft ohne Werbung ist kaum mehr denkbar und wäre wahrscheinlich auch nicht lebensfähig.

Warum sollen Religionen nicht um Mitglieder bzw. Sympathisanten werben ??​

Es muss ja nicht mit Raketen, Bomben, Panzern, Gewehren, Fäusten und Beleidigungen passieren !

Liebe Grüße

Zeili
 
AW: Karfreitagsfürbitte

Zeili, das erste große Missverständnis auf das ich einige Male hingewiesen habe ist, dass Jude nicht gleichzustellen ist mit Katholik, mit Moslem, mit einem Menschen der dem evangelischen Glauben angehört.
Denn Judentum – wie oft soll man das noch erklären? bezieht sich ja nicht alleine auf einem Glauben. Sondern auch auf eine Volkszugehörigkeit (nicht zu verwechseln mit Israeli, denn dies bezieht sich eher auf eine Staatsangehörigkeit, ein Israeli muss nicht zwingend dem jüdischen Glauben angehören. Eine meiner besten Freundin, Israelin, ist zur gleichen Zeit auch eine sehr gläubige Katholikin).

Ich zitiere jetzt mal aus haGalil, denn dieser Text scheint mir sehr anschaulich:

"Die Juden sind eben (abgesehen von einer geringen Anzahl von Gerim, zum Judentum Übergetretenen, die es immer gab) nicht "Juden geworden", sind nie zum Judentum bekehrt worden, sie waren Juden, so wie Deutsche Deutsche, Franzosen Franzosen und Eskimos Eskimos sind. Dass dazu (im Gegensatz zu Deutschen, Franzosen und Eskimos) auch eine höchst-differenzierte spirituelle Ordnung gehörte, die sich bis in die abgelegensten Winkel des Alltagslebens bemerkbar machte, war Teil ihres Judeseins, ihrer natürlichen Volkszugehörigkeit.
Die Juden wurden also nie zum Judentum missioniert, und ihre Religion gehörte daher in einer Art und Weise zu ihrem Wesen, die ein grundsätzliches Hinterfragen im Sinne von "Warum gerade Judentum" eben alles andere als selbstverständlich erscheinen ließ, denn man mag durchaus sein eigenes So- oder Anderssein hinterfragen, jedoch nur äußerst selten sein eigenes Dasein!"

Eine gute Erklärung des Begriffs Judentum fand ich auch in Wikipedie:

"Unter Judentum versteht man die Gesamtheit aus Kultur, Geschichte, Religion und Tradition des sich selbst als Volk Israel (hebr. am jisrael, bnei jisrael) bezeichnenden jüdischen Volkes.
Mit dem Begriff können auch gezielt die jüdische Religion oder, als Gruppe, die sowohl ein Volk als auch eine Glaubensgemeinschaft darstellenden Juden (hebr. jehudim) angesprochen werden."

Zurück aber zum Text den ich aus haGalil zitierte:

Nun, selber bin ich ja Jüdin, aber bei mir (wie auch bei einer größeren Anzahl anderer), spielt vordergründig die Religion keine Rolle.
Vordergründig – sage ich. Denn wenn ich die Freitagsfürbitte in ihrer Form von 1962 lese, empört sich ja alles in mir.

Warum? Ich finde keine richtige Antwort darauf. Oder auch fünf verschiedene.

Liebe Grüße und ein schönes Osterfest

Miriam



 
frage

hallo miriam,
ich finde es sehr schön und interessant, wie da das JUDENTUM und JUDE/JÜDIN-sein beschreiben wird.
doch die frage, die sich mir daraufhin gestellt hat:

inwiefern kann ein jude/eine jüdin dann deutscher/deutsche, österreicher/in ...sein?
geht das überhaupt? oder entsteht da eine art "schizophrenie"?
wie fühlt sich das an?

liebe und interessierte grüße
kathi
 
AW: Karfreitagsfürbitte

Hallo Leute!

Ich bin strikt gegen jegliches Missionieren!

Heißt es nicht in der Bibel, an den Früchten werdet ihr sie erkennen?!

Wenn Früchte da sind (egal, in welcher Religion oder Gemeinschaft), werden sich doch die Menschen von selber für diese Bewegung interessieren.
Oder?!
So glaubt es zumindest ein kleiner Mumpfti wie Raphael.

Ach ja, das, was die Kirche nach zweitausend Jahren vorzuweisen hat, ist von selbst nicht sehr attraktiv.
Deshalb die Missionierung.
Schrecklich!

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
AW: Karfreitagsfürbitte

Hallo, hallo liebe Freunde,

erstmal meine Bitte das eigentliche Thema dieses Threads nicht völlig aus den Augen zu verlieren. Mich interessiert es schon, wie Ihr die Karfreitagfürbitte so wie sie eigentlich nur wenig umformuliert wurde in Februar, findet.

Ja Kathi, du stellst mir eine schwierige Frage, denn so systematisch habe ich nie über die eventuelle Schizophrenie nachgedacht, die daraus entsteht, dass zum Jude-sein (wie man es auch für sich definiert, ob mit einem religiösen Anteil oder nicht), auch unterschiedliche Heimatländer hinzukommen.

Und doch besteht ja da eine gewisse Logik, warum man deutscher Jude/Jüdin, oder österreichischer Jude, etc...sein kann.

Denn es gibt für Juden eine Menge Merkmale die eine jüdische Identität ausmachet: Kultur, Tradition, Geschichte - dazu kommt noch für die Mehrzahl, die Religion. Doch eines fehlt dabei, und dies auch im Gegensatz zum Israeli: das gemeinsame Territorium oder das Land in dem sie leben.
Sie leben eben in unterschiedlichen Ländern, haben einiges oder vieles davon angenommen und integriert, aber die Tatsache, dass eigentlich dieser unterschiedliche Faktor für alle dazu kommt, lässt es nicht zur Schizophrenie werden, sondern zur Selbstverständlichkeit.

Bei Julius Schoeps, Historiker und Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, fand ich einen sehr schönen Satz (aus seiner Autobiographie: "Mein Weg als deutscher Jude"):

"Es bleibt mir nur, mich als das zu begreifen, was ich vermutlich durch Herkunft, Erziehung und Prägung im Nachkriegsdeutschland geworden bin: ein Bürger der Bundesrepublik Deutschland, der eine jüdische Identität besitzt, aber, stark vom protestantischen Milieu geprägt, deutsch fühlt und denkt. Ich weiß, dass das merkwürdig klingt, doch ist es exakt die Beschreibung, die auf mich zutrifft."

Julius Schoeps ist 1942 in Djursholm/Schweden geboren.

Natürlich bringen solche Lebensläufe auch viele Brüche mit sich - aber ist das eigentlich immer als negativ zu bewerten?

Liebe Grüße

Miriam
.
 
AW: Karfreitagsfürbitte

Ich habe zu dem Thema das Zitat von Johannes XXIII gefunden:

„ Wir erkennen heute, daß viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen verhüllt haben, so daß wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres erstgeborenen Bruders wiedererkennen. Wir erkennen, daß ein Kainsmal auf unserer Stirn steht. Im Laufe der Jahrhunderte hat unser Bruder Abel in dem Blute gelegen, das wir vergossen, und er hat Tränen geweint, die wir verursacht haben, weil wir Deine Liebe vergaßen. Vergib uns den Fluch, den wir zu unrecht an den Namen der Juden hefteten. Vergib uns, daß wir Dich in ihrem Fleische zum zweitenmal ans Kreuz schlugen. Denn wir wußten nicht, was wir taten"

Womit bewiesen wäre: Es ginge auch anders.

Schade, daß dessen Gebeine von manchem so unbedacht vor sich hingammeln und zu wenig vergegenwärtigt wird, unter welchen Erfahrungen es zum zweiten vatikanischen Konzil kam. Seitdem befindet sich kirchlicher Fortschritt schon zu lange und zu oft auf dem Rückzug. Das betrifft auch die Ökumene.

Allen einen besinnlichen Gründonnerstag, Karfreitag und frohe Ostern! Denen im Forum und auch denen, die leider nur noch von draußen mitlesen.

Zwetsche
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
AW: Karfreitagsfürbitte

Danke dir Zwetsche für deinen Beitrag und für den wunderbaren Text von Johannes XXIII - was war er für ein großer Mensch, er den man erst als einen Übergangspapst betrachtete! Und wie werden nun große Teile seines Werkes zunichte gemacht!

Ich erinnere mich genau an die Zeit als er starb - und wie groß die allgemeine Betroffenheit war, auch in Kreisen die gar nicht religiös waren. Nun, man liebte auch seinen umwerfenden Humor - und auch die Art wie er mit seiner eigenen Person umging, so gar nicht eitel.
Einer seiner schönsten Sprüche der uns überliefert wurde, ist:

"Ich bin zwar jetzt unfehlbar, gedenke aber nicht, davon Gebrauch zu machen."

Ich wünsche auch nochmals allen ein schönes Osterfest, auch denjenigen die (der) hier viel zu selten schreibt...

Miriam
 
AW: Karfreitagsfürbitte

Nun, es ist schändlich und zeugt von wenig Kenntnis, dass es maßgebliche Stimmen in der katholischen Kirche immer noch fertig bringen, die gesamte Jüdischkeit nur unter dem Aspekt
"Menschen mit einer anderen Religion zu sehen.
Abgesehen davon - ich glaube, Rafael wies darauf hin - ist der Gedanke der Missionierung vorsintflutlich . Missionieren weist immer in Richtung Manipulation >>>> Gesinnungsterror.

nun möchte ich - als ehemaliges Mitglied der katholischen Glaubensgemeinschaft doch noch etwas zitieren, was der Salzburger Weihbischof Laun - ein eher konservativer Priester - zu diesem Thema äußerte.
Es gibt also auch in konservativen kirchlichen Kreisen andere Auffassungen.

Gebet um Reinigung der Herzen "von der Sünde des Antisemitismus" (28.4.00)
Bischof Laun formulierte bei Karfreitagsfürbitten im Salzburger Dom Vergebungsbitte für alles, was Juden in Österreich angetan wurde

(KAP-ID) Der Salzburger Weihbischof Andreas Laun hat bei den Karfreitagsfürbitten im Salzburger Dom darum gebetet, dass die Herzen der Österreicher "für immer von der Sünde des Antisemitismus" gereinigt werden. Wörtlich hatte Bischof Laun im Rahmen der Karfreitagsfürbitten auf Wunsch von Erzbischof Georg Eder folgendermaßen formuliert: "Allmächtiger ewiger Gott, Du hast Abraham und seinen Kindern Deine Verheißungen gegeben. Erhöre das Gebet Deiner Kirche: Wir bitten um Vergebung für alles, was Christen im diesem Land Deinem erwählten Volks jemals angetan haben. Reinige unsere Herzen für immer von der Sünde des Antisemitismus. So bitten wir mit geläutertem Herzen für das Volk, das Du als erstes zu Deinem Eigentum gewählt hast: Gib, dass es zur Fülle der Erkenntnis und der Fülle der Erlösung gelange. Durch Christus unseren Herrn".

http://www.kirchen.net/Newsticker.asp?Id=954
 
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AW: Karfreitagsfürbitte

Was am Missionieren schlecht sein soll, ist mir unbegreiflich.

Hallo Zeili,

du hast dir möglicherweise noch keine Gedanken darüber gemacht, was der Unterschied zwischen "Missionieren" und "Überzeugen" ist.

Missionieren ist m. E. schlecht, weil es ausschliesslich auf ein (mehr oder weniger sinnvolles) Ziel ausgerichtet ist. Zur Erreichung dieses Ziels sind dem Missionar alle Mittel recht.

Überzeugen muss man dagegen mit Fakten, die von dem zu Überzeugenden auch nachprüfbar sind.

Gruss
Hartmut
 
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