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Hermann Sudermann - ein Dichter und seine Frau

Stephanos

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Registriert
28. April 2003
Beiträge
17
Hermann Sudermann!!

Ich bereite für den Herbst 03 für eine Akademie ein Lese-, Film- und Diskussionsseminar über den "preußischen" Dichter Hermann Sudermann vor. Anlass? Er hat im Herbst seinen 75. Todestag.
Seine Erzählungen und autobografischen Bücher sind noch immer "realistisch" (stilmäßig) und interessant von dne Themen her. Vielleicht kennt jemand "Die Reise nach Tilsit".. noch..?
ich suche hier nun Mitmacher an diesem Thema: H. und seine Frau Clara Sudermann, eine Salonschreiberin, aber mit ernsthaften Frauenthemen, z.B. "Am Glück vorbei" - ein "Effi-Briest-Roman", aber nicht auf Fontanes-Stilniveau...

Fragen:
Wer möchte noch gerne was von den "Sudermanns" hören?
Wer kennt Verfilmungen von der "Reise nach Tilsit", schon Murnau hat einen Stummfilm über diesen Mordversuch gedreht.
Wer hat Anregungen zu Sudermann-Themen: naturalistische Dramen, die sich aber verloren haben...
 
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Ich kenne ihn nicht, erzähl doch mal ein bisschen von seinen Werken - verführ uns zum Lesen!
 
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Ja, Hermann Sudermann, ein Ostpreuße, in Berlin ein erfolgeiche Theaterschriftsteller; konnte sich das Leben in einem Schloss leisten. Literarisch ist abe Gerhart Hauptmann wichtiger gefunden für die Zeit nach 1900.
Hier, als Leseprobe:

Das Notjahr 1867

Zu jener Zeit stand's schlimm um meines Vaters Haus. Die Leute wollten sein Braunbier nicht trinken. Es war nicht schlechter als das der anderen Brauereien, aber er ermangelte der Fähigkeit, sich und sein Produkt in Szene zu setzen. Da war sein Konkurrent, Herr Münsterberg aus Werden, schon ein ganz anderer Kerl. Wenn der mit seinen flotten Vatermördern und der prallen, perlengestickten Zigarrentasche von Gasthaus zu Gasthaus fuhr, anpreisend und überredend, dann hätte ich den Wirt sehen mögen, der seinen Lei-stungen widerstand. Und wenn morgens der Werdener Bierwagen, mit Tonnen bergehoch beladen, auf der Chaussee an uns vorüber-fuhr, dann standen wir alle angstvoll hinter der Gardine, und Mama preßte die Hand aufs Herz und ging schweigend nach hinten.
Und dann kam das schwerste aller Jahre - dann kam das Notstands-jahr.
Das war im Sommer 67, da gab es überhaupt keine Sonne mehr. Vom Juni an Tag für Tag nichts wie sickernder, suppender, trom-melnder Regen. Das Erdreich weichte auf, der Roggen reifte nicht, die Erntefelder sahen aus wie Lehmtennen, denn alle Halme lagen und braun und feuchtglänzend am Boden. Und das Schlimmste von allem: die Kartoffeln verfaulten. Was man zu Ende August als genießbar dem Boden entzog, hatte Haselnußgröße und war mit Propfen durchsetzt, die gingen querdurch bis ans andere Ende. Erst gegen Mitte September stellte zugleich mit dem Herbstreif blauer Himmel sich ein - aber da war schon alles verloren. Das hieß Hun-gern, und unter Umständen hieß es Verhungern. Wer hätte in sol-chen Zeiten, in denen jeder Groschen ein Schatz ist, Bier trinken mögen! Darum wurde auch im Sudermannschen Hause Schmalhans Küchenmeister. Freilich - wenn ich euch heute erzähle, daß die But-ter vom Tische verschwand, daß die Fleischtage rar wurden und daß die Semmeln zur Sonntagskost aufstiegen, so macht euch das verflucht wenig Eindruck, denn wir haben Schlimmeres kennengelernt, und die meisten stecken noch dick mitten drin. Aber vergeßt nicht, daß das, was wir heute erleben, unsern Enkeln, falls sie inzwischen nicht eingegangen sind, manche Gänsehaut über den Leib jagen wird. Wer heute Jungmädchen ist, braucht bloß in die Jahre zu kommen, um als Märchentante die Kinder das Gruseln zu lehren, nur daß ihre Mär-chen einst härteste Wirklichkeit waren.
Und es gab damals auch viele, die waren noch weit ärmer als wir. Im Chausseegraben lagen sie familienweise und konnten vor Schwä-che nicht weiter. Die Tür stand tagsüber von Bettlern nicht still, und wenn man ihnen das übliche Zweipfennigstück gab, so schimpften sie, denn Kupfer kann man nicht essen. An den Markttagen war es besonders schlimm: dann belagerten sie die Haustür und prügelten sich um den Eintritt, und meine Mutter teilte unser Letztes mit ihnen. Die Kartoffeln, so schorfig, so klein wie sie waren, wurden in Kesseln gekocht und an die Draußenstehenden verteilt, die sie noch siedendheiß und mit den Schalen verschlangen.
In den Hausflur ließen wir sie ungern, denn was von ihnen zurück-blieb, machte sich tagelang juckend bemerkbar. Jeden Abend gab's große Jagden in Hemde und Beinkleid, und hätte man damals schon gewußt, wo der Hungertyphus eigentlich herstammt, Mama wäre noch viel ängstlicher gewesen.
Als der harte ostpreußische Winter hereinbrach, wurde das Elend erst recht groß. Wahrhaftig, die eigene Not verschwand hinter der, die sich schlotternd und zähnefletschend tagtäglich rund um uns auf-tat. Und die Not erst, die sich nicht mehr sehen ließ! - Mama war tapfer wie immer. Mit den anderen Vorsteherinnen des Frauenver-eins fuhr sie von Dorf zu Dorf, lindernd und helfend überall, wo Hilfe und Linderung gerade noch als Wunder vom Himmel herab-fallen konnten.
So nahte das Weihnachtsfest. Und uns Kindern wurde bedeutet, daß dieses Mal infolge der großen Not an eine Bescherung nicht zu den-ken war; wir möchten uns zufrieden geben und uns derer erinnern, denen im Leben nie ein Weihnachtsbaum brennt. Das kam uns hart an, und von allen Entbehrungen, die das Notstandsjahr auferlegte, war dies entschieden die härteste. Aber in unserem tiefsten Innern ließ das Gefühl sich nicht zum Schweigen bringen: so schlimm kann es nicht werden, und Mama wird schon Rat schaffen.
Auch meldeten sich gewisse Anzeichen, daß allerhand Vorbereitun-gen im Schwange waren, die auf Großes und Heimliches hinwiesen. In der Weihnachtswoche konnten wir nicht mehr einschlafen, und wenn Großmama hinter ihrem Bettschirm tiefer atmete, dann schlüpften wir leise zur Tür hinaus und die Treppe hinunter, um zu erforschen, was unten geschah. In unseren Hemden standen wir frostzitternd im eiskalten Hausflur, bald der eine, bald der andere mit dem rechten Auge vorm Schlüsselloch, dessen Lichtschimmer bewies, daß Mama immer noch auf war. Mochte es zwölf sein oder zwei oder drei, Mama saß vor ihrem Arbeitskasten und nähte. Aber niemals zeigte sich ein Baumbehang oder ein vergoldeter Apfel.
Darum schwand uns bei Tage jegliche Hoffnung, aber in der näch-sten Nacht begannen wir das Spiel der Sehnsucht aufs neue.
Der Weihnachtsabend kam heran, und wir durchstöberten sämtliche Winkel, aber nicht die Spur eines Tannenbäumchens ließ sich entdecken, und wenn wir uns Mama an den Hals hängten, blieb sie dabei: »In diesem Jahre gibt's keine Bescherung.«
Wäre nur das weiche und verschämte Lächeln nicht gewesen, mit dem sie sich aus unsrer Umklammerung löste, und da bei uns der Tannenbaum nicht schon am Abend, sondern nach alter Strandsitte erst am Weihnachtsmorgen angezündet wurde, so brauchten wir immer noch nicht zu verzagen.
In dieser Weihnachtsnacht schlossen wir drei kein Auge. Als die Uhr zwölf schlug, tappten wir zum ersten Male hinunter - da saß Mama noch vorm Nähzeug. Um eins zum zweiten Male - da war das Schlüsselloch verhängt.
(Aus: H.S. Das Bilderbuch meiner Jugend. Ausgabe. 1957)
 
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