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Hauptstadtimpressionen - Reisebericht Berlin

scriberius

Well-Known Member
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2. Juli 2011
Beiträge
4.342
Nun bin ich endlich da. War bislang nichts mit "Ich hab noch einen Koffer in Berlin" - mit dem "Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm" wird es wohl auch nichts werden. Dabei habe ich versucht, der Kapitale möglichst unvoreingenommen zu begegnen, eben weil ich mit dieser Stadt, so rein geschichtlich betrachtet, nicht viel Gutes verbinde und selbst ein Kind der Bonner Republik bin. Schon die Denkmale vor den Kanzlerämtern symbolisieren für mich plakativ die Deutschlands, die drinnen gestaltet wurden und werden. Bärig rund die Monumente am Rhein, Ausdruck von Zerrissenheit das an der Spree. So komme ich nun herein, im ICE sitzend, mit meiner Digitalkamera im Anschlag und bin voll der Hoffnung auf erhabene Einfahrtschneise, vergeblich. Ob bei der Anfahrt von Spandau oder den Hauptbahnhof, die selbe erbärmliche Kulisse, die fast überall Bahnreisende begrüßt: Schmuddelgewerbe, Schrottplätze und Kleingärten der vergammelten Art, die sich entlang der Bahnstrecken hinziehen wie oberirdische Feststoffkanalisationen. Dann im Randbereich die üblichen heruntergekommenen Nachkriegsbauten mit verdrecktem Putz und Grafittigeschmiere, wo immer vertikale Flächen von zweibeinigen Schmierfinken zu erreichen sind. Schließlich der vielgepriesene Hauptbahnhof: ein Vorgeschmack auf den Unsinn, der in Stuttgart die Geister scheidet und an Hässlichkeit und Kaltheit kaum noch zu überbieten ist. Egal. Umstieg in die S-Bahn und ab in die Mitte. Aha. Das war einmal die DDR: der Alexanderplatz, hier werden wir nächtigen. Mein erster Eindruck: eine Großbaustelle. Überall Kräne, Bauabsperrungen, Dreck. Aber immerhin, mitten drin, gleich vor unserem Hotel, der Ostermarkt. Ganz nett. Verkaufsbuden, Bühne, Handwerker, Futterkrippen. Für jeden etwas dabei und weniger teuer, als gewohnt. Viel öffentlicher Verkehr, kein Chaos, ruhig; wir erkunden diesen Bereich zu Fuß und fallen dann ermattet ins Hotelbett.


Samstagmorgen. Die Sonne scheint. Endlich! Ich stehe unter der Dusche und habe freien Blick über halb Berlin. Die Turmuhr gegenüber im Roten Rathaus zeigt 9:15 Uhr. Zeit für das Frühstück. Die Auswahl ist sehr groß, was die Qualität angeht, so bin ich bessere gewöhnt. Auch beim Personal wird gespart - wie fast überall. Jetzt geht es aufs Wasser, mit MS "Adele". Die einstündige Rundfahrt passiert die ehemalige Zonengrenze und zeigt das Regierungsviertel von hinten. Sieht irgendwie völlig unspektakulär aus, das Zentrum der Macht. Unser Reiseführer lässt in seinem angenehmen Berlinerischen Tonfall durchklingen, dass man hier auch nicht viel mehr hält, von der Selbstversorgungsmentalität der Amtsinhaber aller Couleur, als im Rest der Republik. Altbauten nutzen? Wozu? Wir haben es doch! Die Schifffahrt ist der schönste Teil unserer Stadtrundfahrt. Schöner, als die anschließende Tour mit einer der vielen Sightseeing-Linien per Doppeldecker-Omnibus. Erst sie vermittelt etwas mehr Eindruck vom "normalen" Berlin. Dabei sind es weniger die altbekannten Monumente, die ihn prägen, als der Gesamteindruck, den ich als städtebauliche Katastrophe ohne Flair empfinde. Am Brandenburger Tor z.B. stiegen wir erst gar nicht aus ob des öden Charms, den es versprüht, mit Feuerwehreinsatz und vereistem, versplittetem Boden darum herum. Der Kurfürstendamm - ja, schon, aber das haben wir so ähnlich ja fast in jeder Großstadt.


Im KADEWE erstaunt mich die Bahnhofshallenarchitektur des Gastronomiebereichs ebenso wie die Preise, die offenbaren, dass das Management für jeden Artikel, ob eine Kleinflasche Wasser, eine Tasse Kaffee oder ein Stück Kuchen 5 Euro haben will, sich aber noch nicht so ganz traut und deshalb jeweils ein paar Cent darunter bleibt. Ist aber auch egal, die Preise der nett angerichteten Speisen, die durch die Gegend getragen werden, kann ich mir in etwa vorstellen. Wir geben lieber der offenbar obdachlosen Frau, die etwas weiter mit ihren eingemummelten Hunden auf dem Gehsteig campiert ein paar Euro und speisen schließlich im Restaurant der Galeria Kaufhof, weil mich die Archtiektur der Kuppel darüber schon die ganze Zeit vom Hotelzimmer aus interessiert. Dafür schmeckt das Schweinefilet mit grünen Bohnen und Bratkartoffeln hervorragend, und das, obwohl es nur 6,50€ kostet. Es gelingt uns aus Zeitgründen nicht, die Berliner Currywurst zu probieren, die überall angepriesen wird, für Einheimische mit Pommes ab ca. 3€ und für Touris auch als "German Food" für 8€ zu haben. Seltsam berührt haben mich die mit "Grillwalker" o.ä. beschrifteten menschlichen Imbissbuden, die, alles verrohrt, am Mann haben, den Grill, das Gas, die Vorräte und das Schirmdach darüber. Sie bieten eine heiße Wurst im Brötchen für 1,35€ an, weshalb ich nur erahnen kann, was sie für ihren Knochenjob letztlich bekommen, und von welcher Qualität die Ware wohl ist. Hartz-IV machts möglich - vielen Dank an die "Arbeitnehmerpartei" SPD im Rathaus.


Samstagabend. Wir sind erschöpft und ziehen uns aufs Zimmer zurück. Während sich meine müde Bewegungsmechanik langsam erholt, blättere ich in meiner Zuglektüre, als ich den Chef des Rathauses links neben mir erkenne. "Wowies Legoland" steht groß über dem Beitrag. Der Spiegel-Autor beschreibt mit drastischen Worten genau das, was ich empfunden habe: den baulichen Wildwuchs, der unter seiner Regentschaft dadurch entstand, dass er es dem freien Spiel der Kräfte überlassen hat, halt zu bauen, was stinkreiche, geschmacksverirrte Egozentriker eben bauen wollen, um sich selbst ein Denkmal zu errichten. Es wirkt alles zusammengeschustert, inkongurent, eben ein Mischmasch aus alten Baustilen, den heutigen, seelenlosen Stahl-Beton-Glas-Kästen und futuristisch anmutenden Architekten-Gehirnblähungen. Plattenbauten trotzen noch immer im Ostteil den ach-so-tollen, hippen Zeitgeistgebilden des siegreichen Westens. Bei der Abreise geht dann wieder hinein in den schweineteueren Hauptbahnhof, der tief hinuntergebohrt wurde in den Untergrund der Stadt. Er lässt erahnen, wozu die ganze Auseinandersetzung um den HBF in Stuttgart stattfindet: um ein Bauwerk, das außer den erwachsenen Kindern, die ihn unbedingt haben wollen, eigentlich niemand braucht. Groß, kalt, unübersichtlich, ausgestattet mit den üblichen Läden, die die Jugend anziehen, aber hier absolut entbehrlich sind. Läden, in denen man sich schnell noch etwas Proviant für die Reise kaufen kann fehlen dafür. Selbst schuld, wer keinen Big Mac will und kein Uboot von Subway. Wenn wir das nächste Mal Großstadtluft schnuppern wollen, fahren wir wieder nach München oder auch in meine Geburtsstadt Frankfurt. Dort gibt es am Bahnhof leckere belegte Brötchen und die Städte selbst haben auch mehr Charme. Sorry, Berlin.
 
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AW: Hauptstadtimpressionen - Reisebericht Berlin

Ja, Sie haben Berlin als gewöhnlicher Tourist erlebt. Schade, für Sie. Aber ich bin ja selbst an Ihrem Schade Schuld, ich habe Ihnen nicht gesagt, was schön ist.
Unabhängig davon besucht man Berlin immer besser im Sommer.
Und, haben Sie keine Fotos vom Dreck mirgebracht? Zeigen Sie doch einmal ...
 
AW: Hauptstadtimpressionen - Reisebericht Berlin

oh, ich habe schöne Fotos gemacht, sehr schöne. Klar war ich ein Touri - und mit schönerem Wetter haben wir auch gerechnet, hat halt nicht geklappt. Meine Mama hat Berlin als grüne Stadt in Erinnerung, sie war wohl im Sommer dort. Schön war es trotzdem. :)
 
AW: Hauptstadtimpressionen - Reisebericht Berlin

Wenn wir das nächste Mal Großstadtluft schnuppern wollen, fahren wir wieder nach München oder auch in meine Geburtsstadt Frankfurt. Dort gibt es am Bahnhof leckere belegte Brötchen und die Städte selbst haben auch mehr Charme. Sorry, Berlin.

... oder nach wien.
da gibt´s dann auch die malakoff-torte.
ehrenwort!!!
 
AW: Hauptstadtimpressionen - Reisebericht Berlin

groß hast du dich aber nicht umgesehen, deiner beschreibung nach. es gibt doch in berlin jede menge kostenlose magazine mit ausgeh- und kulturtips. wir sind danach gegangen und hatten ein paar wirklich schöne tage dort letztes jahr und auch flair erhaschen können.
 
AW: Hauptstadtimpressionen - Reisebericht Berlin

:ironie: Es gibt kein richtiges Leben im valschen ...(Neue Frankfurter Schule) ...:lachen:
 
AW: Hauptstadtimpressionen - Reisebericht Berlin

oh, ich habe schöne Fotos gemacht, sehr schöne. Klar war ich ein Touri - und mit schönerem Wetter haben wir auch gerechnet, hat halt nicht geklappt. Meine Mama hat Berlin als grüne Stadt in Erinnerung, sie war wohl im Sommer dort. Schön war es trotzdem. :)

Stimmt denn das Gerücht, daß es vom Bahnhof eine unterirdische Verbindung bis in den Führerbunker im Kanzleramt gibt?
 
AW: Hauptstadtimpressionen - Reisebericht Berlin

Stimmt denn das Gerücht, daß es vom Bahnhof eine unterirdische Verbindung bis in den Führerbunker im Kanzleramt gibt?

:ironie: Nicht verzagen - und den immer noch amtierenden stroh-dummen Re-gier-ungssprecher Seibert fragen, der früher mal beim ZDF war ...:lachen::lachen::lachen:
 
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groß hast du dich aber nicht umgesehen, deiner beschreibung nach. es gibt doch in berlin jede menge kostenlose magazine mit ausgeh- und kulturtips. wir sind danach gegangen und hatten ein paar wirklich schöne tage dort letztes jahr und auch flair erhaschen können.

bei ein paar Tagen, ja. Mehr konnten wir in das WE nicht hineinstopfen und der Touri-Trip muss beim ersten Besuch halt sein. Dann hat meine Frau derzeit einen Fahrwerksschaden und noch eine dicke Erkältung dazu bekommen. Mir hat es auch gereicht.....

Stimmt denn das Gerücht, daß es vom Bahnhof eine unterirdische Verbindung bis in den Führerbunker im Kanzleramt gibt?

in diese Bereiche bin ich nicht vorgedrungen, glaube aber nicht daran, denn ich habe bei den Regierungsgebäuden überall Helipads gesehen.
 
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bei ein paar Tagen, ja. Mehr konnten wir in das WE nicht hineinstopfen und der Touri-Trip muss beim ersten Besuch halt sein. Dann hat meine Frau derzeit einen Fahrwerksschaden und noch eine dicke Erkältung dazu bekommen. Mir hat es auch gereicht.....

die touritouren sind meistens langweilig, die erfahrung machten wir in fast jeder stadt, in der wir zu besuch waren, obs jetzt berlin, adam, münchen, hamburg oder sonstwo war.

bei uns in der city ists ja auch nicht anders, wenn ich mir anschau, was da auf unseren touriseiten als tipps stehen, gibts wesentlich interessanteres zu entdecken, das aber keinerlei erwähnung findet.

insidertipps sind immer die besten, v.a. die von einheimischen direkt. die kennen ja die lauschigen ecken ihrer city.
 
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