• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Gelten Aussagen " alter " Texte auch heute noch

M

Marianne

Guest
Habe Lust, einmal mit Euch über die Auslegung des Stormverses ( folgt gleich) zu diskutieren ?

Der eine fragt: Was kommt danach?
Der andre fragt nur: Ist es recht?
Und also unterscheidet sich
Der Freie von dem Knecht. (Theodor Storm)



Ich denke, da die Grundthematik ja die Ungleichheit von Menschen betrifft und damit ein Frage aus dem Gebiet der Ethik ist , stelle ich das Thema mal hier herein.

Kann man heute noch so sagen ?
Wie seht Ihr die Aussage?


Ich habe schon “ meine” Interpretation, will sie aber noch nicht sagen.


äußerst geheimnisvoll

Marianne
 
Werbung:
AW: Gelten Aussagen " alter " Texte auch heute noch

Hi Marianne!

Da entsteht vor meinem inneren Auge ein Bild, wo einer erhobenen Hauptes vorwärts blickt und die Konsequenzen seines Handelns in der Zukunft erwartet. Wie ein Seefahrer, der übers Meer segelt, ohne zu wissen, was ihn erwartet.
Der "Knecht" schaut auf seinen Herrn, den Auftraggeber, dessen Anordnungen er folgen will/muss. Er ordnet sich unter, er erwartet Zustimmung oder Ablehnung. Da ist kein Platz für eigene Ideen, auch kein Platz für die eigene Verantwortlichkeit.
Pflichterfüllung ist die Aufgabe des Knechts, Kreativität und Eigenverantwortung die des Freien.

Da geht es auch um Abhängigkeit/Unabhängigkeit, um die Gestaltung des eigenen Lebens. Bin ich ein Opfer der Umstände oder fühle ich mich als Handelnder (um nicht Täter zu sagen, das klingt so nach Verbrecher!)

Heute könnte man auch sagen, der eine ist ein unabhängiger Mensch, also immer noch ein Freier, im Wirtschaftsjargon ein Arbeitgeber. Knecht klingt etwas veraltet, dazu würde ich eher Arbeitnehmer oder Untergebener sagen.

Ich bin schon neugierig auf deine Interpretation.

herzlich
lilith
 
eine erstaunliche Übereinstimmung, liebe Lillith

Ich denke, wir müssen bei der Analyse des Textes von den Zuordnungen der eine - der andere ausgehen.

Mir kommt vor: der eine ist der erste der beiden genannten Personengruppen - der andere der zweite.

Dann wäre der eine der, der fragt: Was kommt danach?
Der andere wäre der, der fragt: Ist es Recht?

Also sind die die Freien, die über die Kompetenz verfügen, an das Kommende zu denken. - sich selbst zu bestimmen.
Die Knechte fragen nur: Ist das Recht = richtig, was ich tue?Sie ordnen sich fremden Vorstellungen unter.


Und - ich dürfte nicht so ein linker Besen sein, wenn ich nicht noch gleich meine persönliche " Handlungsanweisung ", wie sie sich mir in diesem Text bietet, dazustelle:

Um zu erreichen, dass in die "Herrenschicht" auch die " Knechte" aufsteigen können, müssen die gesellschaftlichen Chancen für alle gleich da sein.
Und ich finde, auf dem Bildungssektor hat sich schon viel getan - aber : genug ist in diesem Falle nie genug.

Mein Ideal wäre ein Gesellschaft, in der jeder Herr und Knecht sein könnte. UTOPIE - ich weiß das


Liebes Grüßchen
Marianne
 
AW: Gelten Aussagen " alter " Texte auch heute noch

Ich teile deine zuordnung. Der erste kann planen, kann in die zukunft sehen, schaffen, konstruieren, ideen entwickeln... der andere aber kann nicht seiner eigenen freiheit, seinen interessen/Wünschen/vorstellungen nachgehen, sondern muss sich ständig danach richten, was ich, vorgegeben wird und ob er DEM angemessen nachgekommen ist. Es ist abhängig.

Liebe marianne, das ist ein thema! Ja klar, wir wissen das das verhältnis wie wir es oben haben, „ungerecht“ ist, einer hat einen vorteil. Und es ist eine lange geschichte, dass die menschheit versucht hat, die umstände zu verändern. Natürlich. Und das dann in die utopie mündet, ist auch bekannt.
Aber ist es nur das? Gerechte verhältnisse oder „gerechte“ verhältnisse? Was bringen einem gesellschaftliche chancen? (ich glaube man kann auch fragen auf dem hintergrund dessen, was man als im leben wichtig und tragend erachtet. Was ist mit wahrheit, etc...)

Aber kennst du tolstoi „herr und knecht“? der reiche kaufmann der sein leben für seinen knechten aufopfert... tolstoi meint „liebe sei die einzige vernünftige tätigkeit des menschen“. (was passiert aber wenn man meint diese liebe institutionalisieren zu können- zum system zu machen?...)

Und zu deiner ausgangsfrage die mich ursprünglich hierher führte: natürlich aussagen alter texte, man greift immer noch auf „weltliteratur“ zurück. Gewisse weisheiten haben über zeitliche und räumliche barrieren geltung. Oder was hast du mit der frage beabsichtigt?

Lg insti

PS: ich hoff es geht dir gut soweit...:-)vielleicht mal pn schreiben;-)
 
AW: Gelten Aussagen " alter " Texte auch heute noch

Mein Ideal wäre eine Gesellschaft in der es kaum noch Herren oder Knechte mehr gibt, sondern hauptsächlich nur noch Menschen die beides sind, beides fragen.


fussel
 
AW: Gelten Aussagen " alter " Texte auch heute noch

Schönes Thema Marianne. Vorläufig aber nur ein Text der hochaktuell ist, nicht nur durch seinem Inhalt, sondern auch weil Berthold Brecht am 14 August 1956, also vor fünfzig Jahren starb:


Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

(Fragment aus An die Nachgeborenen von Berthold Brecht)
 
AW: Gelten Aussagen " alter " Texte auch heute noch

Es erscheint mir hier passend, dieses Zitat von Ralf Hiltmann einzufügen, das ich als Newsletter vor einiger Zeit zugesandt bekommen habe (es entstammt Hiltmanns "Zenpower-Tipps"):
Stelle dir diese eine Frage: "Was muß auf diesem Planeten meines
Wissens nach getan werden und wird wahrscheinlich nicht geschehen,
wenn ich es nicht in die Hand nehme?" Und dann tu es!

Ich möchte das gerne dem Satz von Fusselhirn gegenüberstellen.
fusselhirn schrieb:
Mein Ideal wäre eine Gesellschaft in der es kaum noch Herren oder Knechte mehr gibt, sondern hauptsächlich nur noch Menschen die beides sind, beides fragen.

Brechts Worte (s.Zitat von Miriam) thematisieren mMn auch diese Diskrepanz von Ideal und Realität .

Das, was sich zwischen diesen beiden Polen abspielt, ist unser Leben. So sehe ich das.

Einerseits die Idealvorstellung, andererseits die Aufforderung, selbst tätig zu werden. Je idealer die Vorstellung, umso schwieriger die JETZT mögliche Handlung. Der Weg von meinem jetzigen Standpunkt zur Erfüllung meiner Vision ist oft das größte Hindernis.

Bleibt oft nur die Resignation: "So wie ich es gerne hätte, wird es sowieso nie sein, also kann ich genauso gut nichts tun!" So lebt ja ein Großteil der westlichen Bevölkerung.

Wir genießen lieber die materiellen Früchte der Zivilisation, obwohl wir längst wissen, dass wir auf Kosten anderer auf dieser Welt leben, weil wir den ersten Schritt nicht sehen, den wir selbst jetzt gehen könnten, um etwas zu ändern. Wir seufzen ob des Leides, das durch Kriege und Katastrophen ausgelöst wird, aber wir erleben uns nicht als handelnde Mittäter, sondern als Opfer unserer "Umstände".

Wir haben anscheinend nicht gelernt, unsere derzeitigen Möglichkeiten im Alltag wahrzunehmen, wir haben nicht gelernt, unsere Entscheidungen bewusst zu treffen (im Hinblick auf unsere Idealvorstellungen), um alle unsere Handlungen darauf auszurichten, wo wir letztendlich hin wollen.

Wie oft sagen wir "Da hätte ich jetzt etwas anderes tun müssen, aber ich konnte mich nicht aufraffen" "....wie hätte mein Chef reagiert?" "....hätte ich eventuell den lukrativen Job nicht bekommen..."

Wir sind abhängig, wenn auch nicht mehr vom leibhaftig über uns stehenden "Herrn". Erst wenn wir die Verantwortung für unsere Handlungen und deren Konsequenzen übernehmen, ohne andere dafür zu beschuldigen, dass sie uns Hindernisse in den Weg legen, können wir zu "Herren" über uns selbst werden.

herzlich
lilith
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
zu knecht und herr sein:

dies scheint mir im hinblick auf gleichzeitig knecht und herr sein erstrebenswert:

sei der herr deiner handlungen.
doch bleibe ein knecht der liebe.
:)

kathi

p.s.: dass mit dieser liebe die sogenannte "bedingungslose liebe" gemeint ist, versteht sich hoffentlich von selbst ;)

p.p.s.: stimme allen anderen wortmeldungen gerne zu.
und möchte auch noch vermelden, dass auch ich eine unverbesserliche utopistin bin. ich glaube doch tatsächlich, dass sowas möglich ist.
*grinsegrüßchen*
 
Werbung:
AW: Gelten Aussagen " alter " Texte auch heute noch

Liebe Marianne!

Du hast mit deinem Thema da bei mir etwas angerührt, das mich schon eine ganze Zeit lang beschäftigt.

Ich bin ja seit Mai in meinem Dorf im Gemeinderat, weil ich auch etwas TUN will, nicht nur reden und kritisieren, was die anderen falsch machen. Ich glaube mich zu erinnern, dass du auch politisch engagiert warst, oder noch bist?

Ich sehe mich nun konfrontiert mit dem derzeit üblichen politischen Alltag, vor allem jetzt im Wahlkampf für die Nationalratswahl und ich stelle fest, dass Parteipolitik ein ziemlich schmutziges Geschäft ist, egal um welche Partei es geht.

Bisher habe ich noch genug Energie, mich aus dem Sumpf herauszuhalten, aber es ist nicht einfach. Wenn ich nicht durch das Privileg, von meiner Witwenpension gerade so leben zu können, unabhängig wäre, ich hätte mich auf diese Tätigkeit nicht eingelassen, nicht einlassen können.

Ich kann es manchmal gar nicht fassen, dass wir in Österreich (mMn durch den Deal, den Schüssel damals mit der FPÖ gemacht hat, ermöglicht) nah dran sind, die Demokratie mit allem was dazugehört (freie Meinungsäußerung, strukturiertes Mitspracherecht, und und und......) herzuschenken.

Ich könnte heulen, aber ich möchte doch lieber diesem Ausverkauf der demokratischen Spielregeln etwas entgegensetzen. Ich hoffe, es fällt mir auch immer wieder etwas ein, was ich in meiner Umgebung tun könnte.

Ich fühle mich NOCH als Herr über mein Leben, aber es wird immer schwieriger für viele Menschen, noch frei und unabhängig agieren zu können.

Das nur so zwischendurch. Aber irgendwie gehört das auch zu deinem Thema.

lilith
der manchmal das Herz blutet
 
Zurück
Oben