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Geiz ist geil ! Ist Geiz geil ?

M

majanna

Guest
Zugegeben - auf das Thema brachte mich die erschreckende Erkenntnis, das ich eine neue Geizige bin.

Wen der Ansatzpunkt meiners Themas interessiert, kann nachlesen, woher ich mir die Anregung holte.
Theodor W. Adorno " Minima Moralia " Reflexionen aus dem beschädigten Leben - Suhrkamp Verlag , 2001, S.48 f " Le Nouvel Avare ( ist aber deutsch geschrieben, ich kann kein Wort französisch)


Marianne
 
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Ich merke, dass sich niemand so richtig für dieses Thema erwärmen kann.
Natürlich bin ich „ in mich gegangen“ und habe nach Ursachen, die an mir liegen könnten, gesucht.

Und da bin ich natürlich darauf gekommen, dass WALTER :D die „Schuld ist“ , wie man im Tiroler Oberland sagt.

Ich habe mich nicht getraut, den ganzen ( relativ kurzen) Text abzutippen, und zwar nicht wegen der dabei sicher aufgetretenen Tippfehler, sondern vor allem aus Angst, gegen irgendwelche Urheberrechte zu verstoßen.

Aber dadurch, dass ich meinen Ideenlieferant Adorno preisgegeben und auch noch korrekt angegeben habe, wo, könnte ich ja doch an der Frage Interessierte verschreckt haben.
Außerdem könnte der Eindruck entstehen, ich will mich wichtig machen mit Vorwissen. Eh klar! Stimmt aber nicht. Ich war so begeistert von dem Gesichtspunkt des neuen Geizes, dass ich Euch daran teilhaben lassen wollte.
ABER: Marianne ist ein helles Köpfchen. Ich werde jetzt eine Kurzfassung des Textes geben – Ihr werdet sehen, dass auch bedeutende Philosophen durchaus profane Denkgegenstände haben – und dann werde ich die Textstellen, den „neuen Geizigen“ betreffend zitieren. So kann uns keiner, Walter !

Also: Adorno nennt und beschreibt die Geizkrägen und ihre Motive, die wir alle kennen: den Geizigen Molieres – Freud nennt ihn analen Typ – bis zum Typ des Sammlers, der alles besitzen möchte.
Dann nennt er den modernen Geizigen, dem für sich nicht zu teuer und für andere nichts zu billig sei.
„Er denkt in Äquivalenten, und sein ganzes Privatleben steht unter dem Gesetz, weniger zu geben als man zurückbekommt .Jeder Freundlichkeit, die sie gewähren, ist die Überlegung:
“ist das auch nötig?“ „muss man das tun?“ anzumerken.“ ( aaO S.49)

Bis hierhin legte ich mich selbstzufrieden ins Kissen und dachte: Na, so bin ich nicht, aber dann kam es dicke. Ich zitiere weiter:


„Ihr sicherstes Kennzeichen ist die Eile,für empfangene Aufmerksamkeiten sich zu „revanchieren“, um nur in der Verkettung der Tauschkette, bei denen man auf seine Kosten kommt, keine Lücken entstehen zu lassen“. (Adorno aaO ebenda)



Eiskalt wurde mir bewusst, dass das,was ich für Dankbarkeit, eventuell nur für Höflichkeit hielt, ganz andere Motive haben könnte.
Was sagt Ihr dazu?
Marianne
 
Da ich die Schuld bin und das auch sofort im Lesen Deines ersten Beitrags begriff setzte mein Unterbewusstsein sofort einen Mechanismus in Gang der nach einem kurzen, erstaunten, verdrängenden "das soll Adorno gesagt haben" dazu führte, dass ich ernsthaft erwog das Buch käuflich zu erwerben.
Jetzt, nach dem Lesen Deines zweiten Beitrags, ist das natürlich anders. :D

Aber ganz im Ernst, ich war wirklich erstaunt dass das von Adorno kommt...
 
"Jeder ist sich selbst ein Würstchen" Adorno

Vielleicht muss man sich nur die Frage beantworten, ob man erwartet, dass sich die "anderen" revanchieren, und schon steht man gar nicht so schlecht da.

Adorno hat sich auch konsequent geweigert, Glück auszumalen. Glück war bei ihm etwas, was kein Tauschwertcharakter hat und nur in der Erinnerung zu haben. Immer nur verlorenes Glück, immer nur etwas, was sich in der Kindheit abgespielt hat, er wurde bestimmt nicht nur politisch durch seine Exil-Jahre geprägt.
Durch die verstand er auch auf einmal, dass die Fremdheitserfahrung mit der generellen Aussenseiterposition des Intellektuellen übereinstimmt.

Stefan Müller-Doohm: Adorno. Eine Biografie.
Eine wahnsinnig umfassende Biografie, aber sehr interessant.
 
Bei Adorno wundert mich nix mehr

Der hat doch so manchen Unfug verzapft - vor allem über Musik.

Ich glaube, Adornos Ansicht ist hier "überdialektisch". Das ist alles so extrem "postmarxistisch" (wieviele Worte werde ich in diesem Beitrag noch erfinden ;) )

Ein unmögliches Paradox: Alles auf Tauschwert und Dialektik zu reduzieren und dann DOCH von einem darüber stehenden Prinzip zu phantasieren, das man dann (siehe Celine) nicht zulässt.

War Adorno also ein "Glücksgeizling"? (Wort No. 3) :D

Der Widerspruch liegt darin, dass ein Mensch ja garnicht anders kann, als in Äquivalenten denken - vielleicht variiert er nur darin, wie genau er sie berechnet ;) - In einer Welt, die auf Tausch und Arbeitsteilung basiert, ergibt es keien Sinn, Geiz SO zu definieren. Denn, wie ich es überblicke, ist dann jeder geizig.

Geiz kann man besser psychologisch als moralisch oder philsophisch definieren. Als der Hang zu zwanghaftem Handeln in Gelddingen. Denn dem Geizigen fehlt ja vor allem Überblick und Gelassenheit - dass er nämlich auf lange Sicht durch den Geiz mehr verliert als gewinnt. Der Geizige ist also irrational und nicht rational, wie es Adornos These suggeriert. Er ist nicht eiskalt und abgezockt, sondern unsicher und emotional gestört.

Und das biste ja nicht, Majanna, oder? :p
 
Re: Bei Adorno wundert mich nix mehr

Original geschrieben von Robin
- In einer Welt, die auf Tausch und Arbeitsteilung basiert, ergibt es keien Sinn, Geiz SO zu definieren. Denn, wie ich es überblicke, ist dann jeder geizig.

Geiz kann man besser psychologisch als moralisch oder philsophisch definieren. Als der Hang zu zwanghaftem Handeln in Gelddingen. Denn dem Geizigen fehlt ja vor allem Überblick und Gelassenheit - dass er nämlich auf lange Sicht durch den Geiz mehr verliert als gewinnt. Der Geizige ist also irrational und nicht rational, wie es Adornos These suggeriert. Er ist nicht eiskalt und abgezockt, sondern unsicher und emotional gestört.

Und das biste ja nicht, Majanna, oder? :p


Robin, bevor ich auf Deine Worte eingehe - nicht auf die zu Adorno und seiner Einschätzung der Musikszene - dazu weiß ich zu wenig, um sie zu beurteilen zu können - , nur so viel als Vorbemerkung zum Postmarxismus:

Hier mag sich halt ein Junge aus dem Odenwald von einem Mädchen aus dem Prenzlauer Berg ( von Wald keine Spur, nicht mal einen nennenswerten Park) im wesentlichen unterscheiden.
Wer seine Gedankenformung durch den Marxismus erdulden musste, kann sich- auch kritisch- nur noch mit postmarxistischem Gedankengut auseinandersetzene. Kürzer und prägnanter: einmal Materialist - immer Materialist! Das gilt hier für mich.

Und - Du siehst es ganz richtig - auch Materialisten schwärmen von "himmlischen" Zuständen, auch sie empfinden die "Höllischkeit" der Welt, in der sie leben. Nur nennen sie das eine Politutopie und das andere entfremdetes Dasein. - Reflexionen aus dem beschädigten Dasein - so ist der Untertitel zur MINIMA MORALIA. Und der dialektische Sprung muss in diesem Dasein erfolgen. Und dazu bedarf es der grausamen Aufklärung über alles, was unser menschliches Leben beschädigt.



Den Geiz eines Harpagon ( Moliere) und den Geiz eines Scrooge (Dickens) kann man leicht als Beschädigungen durchschauen und sich moralisch davon absetzen. Das nehme ich von sehr vielen Menschen an ( auch von mir weiß ich, dass ich das tue). Adorno sagt dazu sinngemäß: ... erst im Opfer( dem Sparen und dadurch humane Verluste hinnehmend) und Verlust stillten sie - die "normalen" Geizigen, ihre erotische Leidenschaft.- Und jetzt den Schlusssatz wörtlich: "Die neuen Geizigen aber betreiben die Askese nicht mehr als Ausschweifung, sondern mit Vorsicht. Sie sind versichert." ( Adorno a a O S.49)


Meiner Meinung nach wollte Adorno darauf aufmerksam machen, dass die menschliche Leidenschaft vieles als menschlich verständlich und als humanes Markenzeichen erkennbar macht:

dass aber gerade die Abwesenheit von Leidenschaft, inhuman wird.
Do - ut des ( Gib, damit dir gegeben) - ist eben ein Kennzeichen aus dem ökonomischen Bereich, der - Adornos Meinung nach, der ich mich anschließe - den Menschen " entfremdet", ihn von sich weg führt.


Und nun bringt mich die genaue Beschäftigung mit diesem Kurztext , wenn ich diesen als These annehme, zur Gegenargumentation: Was kann es geben, das uns wenigstens für kurze Augenblicke " ungeizig" macht?

Und da weiß ich aus eigener Erfahrung, dass es die unvoreingenommene Begegnung mit Kunst ist, auch mit der Natur.
Da kann sich der Mensch entäußern, sich von Äußerlichkeiten frei machen, er selbst ein Gespür für sich selbst bekommen.

Liebe Grüße

Marianne
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
hallo majanna

habe jetzt erst dieses sehr interessante thema gelesen!

ich kenne adorno nicht, aber was geiz angeht muss ich sagen, es gibt wohl nichts schlimmeres!

diese eiskalte berechnung, ich gebe nur damit ich was bekomm ist eines menschen nicht würdig!

ich habe mich schon immer von sowas distanziert!

ich gebe wenn es mir bzw. weil es mir freude macht!

geiz drück nur aus, dass ein produkt in deinen augen den preis nicht wert ist!

geiz ist minderung an wertschätzung!
du schätz nichts mehr und das ist eigentlich sehr traurig.
denn wenn du was kaufst und du bist unglücklich weil es in deinen auge " zu teuer" war, wie kann man da noch genüsslich in ein brötchen beissen, wohlfühl klamotten tragen oder jenmanden von herzen eine blume schenken?


lg binchen
 
Original geschrieben von Binchen
diese eiskalte berechnung, ich gebe nur damit ich was bekomm ist eines menschen nicht würdig!

Genau. Ausserdem denke ich, daß Geiz eher zu den Methoden gehört mit denen man nur kurzfristig Erfolg hat, aber nicht langfristig.
 
Original geschrieben von Binchen
geiz drück nur aus, dass ein produkt in deinen augen den preis nicht wert ist!

geiz ist minderung an wertschätzung!
du schätz nichts mehr und das ist eigentlich sehr traurig.

Zitat Walter: Genau. Ausserdem denke ich, daß Geiz eher zu den Methoden gehört mit denen man nur kurzfristig Erfolg hat, aber nicht langfristig.

Ich glaube, er ist noch viel kurzfristiger als du denkst.

Wenn ich heute alles haben will, was ich sehe, muss es zwangsweise billig sein, sonst kann ich es mir nicht leisten. Wenn alles billig sein muss, können die dazu benötigtehn Materialien nicht hochwertig sein und die herstellenden Arbeiter nicht gut bezahlt sein; wahrscheinlich wird im Ausland produziert werden müssen. Aus diesem Grund werden Arbeitsplätze im Inland abgebaut und Gehälter reduziert. Wenn mir das passiert, MUSS ich möglichst billig kaufen, weil ich noch weniger Geld zur Verfügung habe. Und trotzdem muss ich auf noch mehr verzichten. Weil nun mehr Arbeitslose unterstützt werden müssen, steigt auch noch die Steuer. :rolleyes:

Geiz mag einem Einzelnen vorübergehend Vorteile bringen, wenn aber ein ganzes Land dieser Philosophie frönt, dann legt es sich selbst ein Ei. ;)

Konfuzi
 
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zu Konfuzi Ohne mich jetzt auf Deine wahrhaft universale ökonomische Eingliederung der menschlichen Eigenschaft Geiz genauer einzulassen, will ich Dir nur sagen, dass es mir eigentlich gar nicht um Wirtschaftspolitik al la Lieschen Müller geht, sondern um menschliche Verformungen, die sich sicher durch die Ökonomie bedingen.
Aber so ist es nun mal.

zu Binchen: Mir gefällt am besten Dein Vorschlag, seiner "Gib, damit Dir gegeben werde - Ideologie zu entgehen, indem man ganz spontan auf etwas reagiert, was einem begegnet:
" jemanden von herzen eine blume schenken?" (Binchen)

Und wenn dieser Jemand ein Mensch ist, den man gar nicht kennt, der einen nur so erstaunt und erfreut ansieht, ist das ein Beispiel für mich, seiner "Habsucht" zu entfliehen.

Übrigens - das noch zu Dir Robin - denke ich schon, dass die Entäußerung, die ich in der spontanen Begegnung mit Kunst habe,sehr viel mit ( im Adornoschen Sinne" ungeizig zu sein sein zu tun hat.


Danke, Walter, Binchen und Konfuzi, dass Ihr Euch doch noch dieses Themas angenommen habt.

Marianne
 
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