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Die Gegenwart dauert 3 Sekunden

Konfuzi

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Registriert
14. Dezember 2002
Beiträge
348
In einem wissenschaftlichen Bericht las ich von einer Untersuchung, in der man feststellte, dass für einen Menschen die als Gegenwart erlebte Zeitspanne 3 Sekunden beträgt. Alles, was vor diesen 3 Sekunden war, ist Vergangenheit.

So lebt also der Mensch in 3-Sekunden-Blöcken vor sich hin. Wenn mich mit dem Sprechen dieses Satzes fertig bin, habe ich ihn also in der Vergangenheit begonnen und beende ihn in der Gegenwart. Viele fernöstliche Lehren fordern, immer im Hier und Jetzt, immer in der Gegenwart zu leben. Also immer bewusst in diesem 3-Sekunden-Block. Und trotzdem ist keine Handlung möglich, dier sich nicht über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erstreckt: denn der Satz, den ich beginne und der bald Vergangenheit sein wird, wird erst in der Zukunft beendet sein.

Wem es gelingt, viele Zeitspannen lang in der Gegenwart bewusst zu leben, ist glücklicher, weil er sich über Vergangenes und Zukünftiges ja in diesem Augenblick keine Sorgen machen muss. Und doch ist dies die schwierigste Übung überhaupt. Wir leben oft in Vergangenem und träumen uns eine Zukunft. Und gehen so am eigentlichen Leben - das JETZT ist, vorbei. Bis es Vergangenheit ist. :rolleyes:

Konfuzi
 
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Ich weiß nicht, ich habe diese Aufforderung "Lebe im Jetzt!" schon so oft gehört, dass sie mich bereits dezent nervt. Für mich gehört diese Aussage indirekt zur Zentrierung unserer Gesellschaft auf die Jugend, dieses "Nur im Hier&Jetzt zu sein und ausschließlich fürs aktuelle Wohlfühlen zu Sorgen" ist eine typische Haltung Jugendlicher - und dort gehört sie meiner Ansicht nach auch hin. - Ist eh mühsam genug für die Eltern, die den bedingungslos im Hier&Jetzt Agierenden irgendwie klarmachen wollen, dass es auch ein Leben nach dem Hier&Jetzt gibt.

Für mich besteht das Leben sehr wohl aus seiner Gegenwart, seiner Vergangenheit und auch aus den Wünschen / Erwartungen/ ... in die Zukunft. Meine Gegenwart hat viel mit meiner Vergangenheit zu tun und meine Zukunftswünsche beeinflussen ebenfalls mein Jetzt-Sein.
Ob ich Vergangenheit und Zukunftswünsche aber wie einen Stein um den Hals trage, der mich im Aktuellen beständig unter Wasser zu ziehen droht, oder ob ich Vergangenheit und Zukunftswünsche als Basis, als Boden nehme, auf dem ich mich bewegen kann, liegt vermutlich an der Qualität der Vergangenheit und Gegenwart, sowie an meiner individuellen Charakterlage.

Es grüßt
Katharina
 
Um das von Konfuzi Angesprochene ganz zu erfassen, muss man sich im Klaren sein, dass das "Im Moment leben" im wahrnehmungspsychologischen Sinn keinerlei Wertung enthält und auch keine Alternative besitzt; man KANN einfach nur im Moment leben. Auch wer in der Vergangenheit lebt, lebt im Moment; er aktualisiert im Gedächtnis Gespeichertes zum Sinnieren für den gegenwärtigen Moment. Das deckt sich mit dem Modell eines operativ agierenden Besusstseins.
Versteht man es so, kann man Katharina beipflichten darin, dass man eine solche wissenschaftliche Untersuchung nicht missbrauchen sollte, um schon hundert mal gehörte Banalpsychologie aufzuwärmen.
Gleichzeitig ist es aber auch falsch, dass "Im Moment leben" nur an die Jugend zu koppeln - auch wenn dies die Gesellschaft vielleicht tut.

Es geht letztlich um Referenz; worauf beziehe ich meine Erleben. Es gilt, ein individuell ausgewogenes Verhältnis zu finden, von Wertungen beispielsweise, die man mal an Vergangenen erstellt, dann wieder an Hoffnungen für die Zukunft knüpft, dann wieder als Momente reiner Freude oder Genießens belässt.
Dieser Wechsel ist selbstverständlich, ohne ihn geht es nicht, er gestaltet sich individuell aus und ist gleichzeitig schwierig wie manchmal auch ganz einfach zu meistern.

Schöne Grße
 
- "Im Moment leben" im wahrnehmungspsychologischen Sinn ...

ja, ich habe diesen begriff eher aus alltagssprachlicher sicht interpretiert - und da hat er in der regel sehr wohl wertenden und auffordernden charakter und wird sehr wohl mit "jung-sein" verknüpft.
nebenbei würde mich auch interessieren, wie man denn auf diese drei sekunden, die da angeblich als gegenwart erfasst werden, kommt. und wie sich sowas beweisen lässt! denn auch wenn ich robins "wahrnehmungspsycholog. sicht" anwende und zwar auf mich, so empfinde ich ganz sicher mehr als drei sekunden als unmittelbare gegenwart.

gruß
katharina
 
Hallo Katharina,

wenn du versuchst herauszufinden, was für dich Gegenwart ist, komst du widerum nicht umhin, Vergangenes zu aktualisieren. Du versuchst also, aus der Erinnerung zu rekonstruieren, was in der Vergangenheit (und sei es auch nur eine ganz kurz vergangene Vergangenheit) für dich Gegenwart war. Dabei wirst du zu sehr subjektiven Schlüssen kommen oder auch zu überhaupt keinem vernünftigen - so geht es mir jedenfalls. Das sowohl charakteristische als auch nicht zu umgehende Merkmal der Gegenwart ist eben, dass sie nicht beobachtbar ist. Zumindest nicht von dem, der sie erlebt.
Meine Vermutung ist daher, dass bei einem solchen Test, vor allem getestet wird, was der Probant NICHT kann. Also zum Beispiel, was er in einer bestimmten Zeitspanne NICHT differenzieren kann oder auch, wieviel Zeit er braucht, um etwas, das er zunächst nicht beobachten kann, dann als Gedächtnisaktualisierung doch wieder beobachten kann.
Ich meine übrigens, über dieses Experiment gelesen zu haben, habe aber den Versuchsaufbau vergessen. Natürlich handelt es sich bei dem Versuchsergebnis dann um eine Interpretation anhand eines wahrnehmungspsychologischen Modells. Nur daran kann es gemessen werden, nicht als absoluter Beweis.
Vielleicht ist das Experiment aber auch in dem Buch "Fühlen, Denken, Handeln" von Gerhard Roth enthalten, das auf jeden Fall einen guten Einblick in moderne (nicht-esoterische) Bewusstseinsforschung gibt.
Im Übrigen habe ich auch nichts dagegen, die Begriffe Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft alltagssprachlich zu betrachten, denke aber, dass es einen hohen Zugewinn bringt, die wissenschaftliche Seite mit einzubeziehen - sonst kommt es eben zu den von dir schon als latent nervend charakterisierten Redundanzen.

Grüße
 
"Meine Vermutung ist daher, dass bei einem solchen Test, vor allem getestet wird, was der Probant NICHT kann. Also zum Beispiel, was er in einer bestimmten Zeitspanne NICHT differenzieren kann oder auch, wieviel Zeit er braucht, um etwas, das er zunächst nicht beobachten kann, dann als Gedächtnisaktualisierung doch wieder beobachten kann."

... finde ich interessant - dann wäre die definition von "gegenwart" ein wenig mit der reaktionsgeschwindigkeit verwandt? umfasst also erkennen (im sinne von differenzieren) und aktualisieren (bereits zurückliegendes beobachten).

...dann erfolgte z.b. die berühmte "liebe auf den ersten blick" in etwas drei sekunden? ;)

...interessant wäre auch, wie sich diese gegenwartsempfindung unter drogeneinwirkung verändert (verlängert, möchte ich meinen).

... ist amüsant, was man sich da alles ausdenken kann!

gegenwartsgruß

katharina (die mörderschnell tippt, damit sie nicht schwupp-diwupp in die vergangenheit rutscht! :) )
 
Statt Reaktionsgeschwindigkeit würde ich Verarbeitungsgeschwindigkeit sagen. Es muss wahrgenommen werden; es folgen Entscheidungsprozesse, was sofort vergessen werden kann (Luhmann sagt: Die Hauptaufgabe des Gedächtnisses liegt im Vergessen); schließlich muss in Bewusstseinsoperationen umgesetzt werden, was nur als Abgleich mit Bekanntem, Bewährten und dann doch Neuem, Verschiedenen geschehen kann. Könnte sein, dass diese Verzögerung als Gegenwartsempfinden umgesetzt wird - was überigens nicht heißt, dass man auf die Gegenwart nicht schneller als in drei Sekunden reagieren kann - dann aber wahrscheinlich nur in schematisierten, routinierten Abläufen (bei grün über Straße gehen, Gruß erwidern, in den 4. Gang schalten).

Vielleicht gibt es auch verschiedenes Gegenwartsempfinden; könnte es bei Streß beschleunigt werden; können wir durchaus beobachten, dass oben genannte Prozesse unter Drogeneinwirkung gestört (Alk, Pott) oder subjektiv beschleunigt werden (Koks, Amphitamine).
Das mit der Liebe auf den ersten Blick hatten wir hier schon mal auf 20 Sekunden taxiert ;) aber da spielen eventuell noch andere Prozesse eine Rolle. Auch das Gegenwartsempfinden ist wahrscheinlich nicht nur Verarbeitungszeit, ich finde es aber sehr plausibel, dass die zumindest eine Rolle spielt. Vielleicht lese ich mal wieder in ein schlaues Buch rein und sag dann Bescheid ;)
 
tja, da werde ich mir diesen luhmann vielleicht doch mal zu gemüte führen müssen, der scheint derzeit ja schwer in mode zu sein.
leider hat sich mein gegenwartsgedächtnis - da ich bereits diverse entwicklungen solcher zitat-bergwerksautoren hinter mir habe - angewöhnt, sie umgehend als nicht-merkenswert einzustufen. in diesem fall kann ich tatsächlich gedächtnis mit vergessen gleichsetzen! :)

muss mal in mich gehen, die vergessenshalden abschreiten!

lg
katharina
 
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Also mit der Einstellung wird das nix mit dem Luhmann, Katharina ;)
Zitat-Bergwerksautoren :lachen: ist lustig, aber was kann der Autor dafür? ;)

Das letzt' Geheimnis wird sich lüften,
wenn wir verschwinden in den Grüften
wer nicht will im Forum denken
lasse halt von Gott sich lenken

(doch wer will was Neues wissen
der muss bergmannmäßig graben
oder sich am Wissen laben,
das andre für ihn aufgerissen.)

:)
 
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