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Der Daimon (ti) und die Figur des Sokrates im Bezug auf die Erkenntnisfrage

Capone

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15. Juni 2022
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3
Liebe Leser,
lasst mich euch ein Labsal darbieten.

Im Rahmen einer Universitätsarbeit bin ich auf dieses äußert interessantes Werk gestoßen.
Raffaelle Mirelli - Der Daimon und die Figur des Sokrates: Enstehung einer gegenwärtigen, akademischen Subjektivität am Leitfaden von Platon und Nietzsche
Mein Selbst wurde ungehemmt in den Bann der geschriebenen Worte gezogen. Ich möchte meine Eindrücke auf dem eigentlichen Pfad der Erkenntnistheorie mit euch teilen.

Zuerst möchte ich etwas auf den Daimon selbst eingehen. (Unter Anführungszeichen zitiere ich aus dem o.g. Buch. Für mehr Informationen zu den Zitatstellen einfach fragen)

Als Daimonion wird hauptsächlich eine unbestimmte Gottheit adressiert. Erstmals entspringt das Dämonische aus antiken Literaturen. Das Wort “Daimon” kommt aus dem Griechischen und wird bei Homer und Hesiod besonders als „unbestimmte Gottheit“ verstanden . Dabei geht es oftmals mehr um den Urheber eines mysteriösen göttlichen Zeichens, das nicht näher bestimmt werden kann. Mit Sokrates zeichnet sich ein neues Bild des Daimonions mit einer aktiv beratenden Rolle, das fortan stark vertreten wird. Sein Gottesbild setzt sich daraus zusammen, dass sich in jedem Individuum eine innere Stimme befindet, die eine göttliche Herkunft haben muss - eben das Dämonische. Parallelen dazu können das Unterbewusstsein, das Bauchgefühl, die Seele in weiterer Folge, oder ein innerer Dämon sein. Nach Sokrates handelt es sich dabei um das ausschlaggebende Wesen, das jeden Charakter prägt. Er war seiner inneren Stimme stets gefolgt und sah sie in beratender Funktion, um ihn von Fehlentscheidungen abzuhalten. Sein Daimon sagt ihm nicht, was er tun soll, sondern nur was er nicht tun soll. Das kann entweder durch die innere Stimme oder aber auch durch offensichtliche Zeichen der Ablehnung vorgekommen sein. Das Schweigen oder die Abwesenheit dieser inneren Stimme galt für ihn als ein billigen seiner Entscheidungen und nahm dieses somit als Zeichen von Zustimmung wahr.
In einem näheren Definitionsversuch des Daimonion ti des Sokrates nach einer mittelplatonischen Interpretation lautet es: “Der Daimon bleibt deshalb oft ein ti, etwas, das sich in der Realität versteckt hält & sich nicht erkennen gibt. … Der Daimon ist ein Orakel, eine Hölle, die tief in die Natur des Menschen hineinreicht. … Durch die Stimme des Daimon spricht unser intimes Wesen des Philosophen zu uns, um die Wahrheit des Daseins zu erklären, aber immer auch um die Tugend zu bewahren.”
Nach dieser näheren Betrachtung kennzeichnet sich der Daimon durch das ti als etwas für uns nicht Sichtbares und doch in uns selbst Existierendes. Wir können etwas von uns wahrnehmen, gegenüber dessen wir blind sind. Indem es sich der Daimon als Aufgabe macht uns vor Fehlentscheidungen und Unwahrheiten fernzuhalten um uns der Tugend näher zu bringen, so können wir prompt behaupten, dass der Daimon sowohl mit als auch ohne ti uns grundsätzlich gut gesinnt ist und unser Glück befördert.
Der Daimon kann auf viele Weisen erscheinen: Zum einen kann er das Vorbild eines jeden Philosophen sein, zum anderen eine innere Stimme, die man nicht direkt wahrnimmt, sowohl als Gefühl, als auch als eine Fügung des Chaos um uns herum. In jedem Fall aber als ein Zeichen einer höheren Macht. Aus Homers Ilias und Odysee lassen sich weitere Begriffe deutlich als oder mit dem Daimon identifizieren: Gottheit (theos) und Schicksal (Moira). Damit wurde der Begriff des Daimon auf eine Metaebene gehoben. Deswegen finden sich oftmals viele Interpretationen des Daimonion als Halbgott, Diener der Götter, oder schlicht und einfach als Vorbild der Menschen.
Der Daimon ist nicht nur unbestimmt, sondern bildet ebenso wie Eros eine Verbindung zwischen dem göttlichen und dem menschlichen. Die Interpretation seiner Zeichen ist ebenso unbestimmt, wie seine Existenz und sein Erscheinungsbild. „Die übernatürliche Kraft des Daimon wirkt auf die Menschheit als moria, …“

Im Platonischen gilt der Daimon oftmals als Motivation zum Philosophieren und der Eudaimon quasi als Gott des Philosophen. In Platons Phaidon verweist Sokrates selbst nach seiner Verurteilung zum Tode wegen Asebie auf eine innere Stimme, die ihm nicht erlaubt, seine Wahrheit zu unterdrücken. Nach seinem Urteil bietet sich ihm die Möglichkeit aus Athen zu fliehen, um seinem schicksalhaften Tod zu entrinnen. Nur das dämonische verleitet ihn gegen seinen eigenen Drang am Leben zu bleiben in Athen zu verweilen und sein Schicksal anzunehmen. Das forderte von ihm sich intensiv mit seiner Furcht vor dem Tod auseinanderzusetzen. Am Ende seines inneren Konfliktes sieht er den Tod als Befreiung der Seele, weshalb er gewillt ist lieber seine Seele befreien zu lassen und der Wahrheit treu zu bleiben, als sich auf der physischen Welt zu Unterwerfen und Unwahrheiten zu verbreiten, um damit seine Seele in Übermaßen an seinen Körper zu binden. Das gibt uns Auskunft darüber, welche Gewichtung verschiedene Werte für Sokrates, oder auch seinen Daimon hatten. In der Konklusion zeigt sich, dass das Bestreben und die Gutwilligkeit des Daimon ti über ein menschliches Leben auf Erden hinausgeht und deswegen seinen Ursprung nur im göttlichen haben kann.

Das lässt uns an die Kernfrage des Werkes Theaitetos von Platon anschließen: Grundlegend dafür gilt die Annahme, dass die Wahrheiten, nach denen das Daimonion strebt, gültig sein müssen. Und es gilt die Frage, ob es allgemeingültige, objektive Wahrheiten gibt oder auch das dämonische nur subjektive Wahrheiten kennt. Dies wird zu einem weiteren essenziellen Thema dieser Arbeit. Sollte der Daimon danach streben können, muss es möglich sein, Wahrheiten als solche identifizieren zu können. Solange nicht klar ist, wie eine Wahrheit zu erkennen ist, ist es auf der Suche nach Erkenntnis ausschlaggebend, sich an das Dämonische zu halten, das scheinbar über diese Fähigkeit verfügt, zumindest in die Richtung von etwas Wahrhaftigem zu streben. Wenn Sokrates sich von seinem Daimon ti leiten und beraten hat lassen, dann sieht er durch ihn die Umsetzung von höher gültigen, uns möglicherweise nicht mit Vernunft nachvollziehbaren Wegen, um so nahe wie möglich an Erkenntnis zu gelangen.
Aus Platons Werken, der Figur des Sokrates und besonders dem 7. Brief Platons zeigt sich nicht nur eine Ideenlehre, sondern lässt auch eine klare Hierarchie an Werten zu. An höchster Stelle der Wertepyramide steht das wahre Sein, die Idee, oder auch Eidos. Die Arete lässt auf dieser Metaebene alles Seiende stets nach dem Guten streben.
“Die Lebensordnung, die durch die Gerechtigkeit in der polis entsteht, führt bis zur Eudämonie des Individuums. Die Idee des höchsten Guten - als sonniges Licht - verbreitet sich durch die Erkenntnis des Seienden und das Daimonion ti harmoniert mit dem Willen Gottes und der Menschheit durch eine Stimme, die das Individuum von Innen ruft. … “
Dieses Streben nach dem Wahrhaftigen und Guten ist mitunter die Aufgabe des Daimon ti.
Wovon uns der Daimon ti abrät, muss schlecht sein und alles, das er billigt muss gut sein.

Sokrates spricht dem Daimon ti in Platons Theätet indirekt noch eine weitere Eigenschaft zu. Er spricht über die Fähigkeit der Seele, sich selbst zu erforschen. Wie genau sie das seiner Ansicht nach tut wird nicht näher erläutert. Man kann davon ausgehen, dass wenn die Erforschung der Seele in eine falsche Richtung verläuft, ein abratendes Zeichen des Daimon ti zu erkennen sein sollte. Dieses wesentliche Auftreten zeigt klar auf, dass das Daimonion dazu beiträgt, die eigene Seele zu erforschen.

Im Streben der eigenen Seele nach Erkenntnis wird klar, dass auch Arete im Dämonischen liegt, wenn uns der Daimon davon abhält, auch von diesem Pfad abzukommen. Er führt uns stets zum Guten, zum Göttlichen, zum Wahrhaftig Seienden, oder hält uns zumindest davon ab in eine entgegengesetzte Richtung zu streben. Mit Sicherheit kann behauptet werden, dass man, wenn man dem inneren Daimon ti zuhört und folgt, sich stets in eine positive Richtung entwickelt.

In Konklusion hilft der Daimon ti denjenigen, die ihn zu hören vermögen, nach Erkenntnis zu suchen. Die Aufgabe der Seele ist es, das Dämonische in einem selbst zu entdecken und seine Zeichen zu erkennen. Sokrates spricht die Fähigkeit, seine eigene Seele zu entdecken, jedem zu, auch wenn das Daimonion noch unentdeckt sei. Damit erlaubt er sich mit Bestimmtheit zu behaupten, dass der Daimon immer gegeben ist, aber das ti wandelbar sei. Diese Annahme erlaubt uns sogar, das Daimonion ti sich für uns selbst entdecken zu lassen. Das wesentlich Gravierende um diese Annahme ist die Möglichkeit, dass unsere einzige Aufgabe darin besteht, unser menschliches Ego so weit in den Hintergrund zu stellen, dass der Daimon ohne, oder mit so geringem menschlichem Einfluss als möglich, nach wahrhaftig Seiendem forschen kann und uns zu reiner Erkenntnis führt. In dieser Annahme ist Sokrates Akzeptanz seines eigenen Todesurteils vollends logisch verständlich. Wer nach wahrhaftiger Erkenntnis sucht, muss sich dem Daimon vollkommen ergeben, um so nah wie möglich an das wahrhaftig Seiende zu gelangen. Der letzte menschliche Einfluss kann erst bewusst beseitigt werden, wenn sich der Daimon und die Seele zumindest vom Körper trennen. Wie sich die Seele und der Daimon in weiterer Folge zueinander verhalten, sei, wie es dem Daimonion üblich ist, unbekannt. Sokrates hat mit seinem Gottesbild und seinem Tod, wie er in Platons Phaidon steht , bewiesen, dass das Streben nach wahrer Erkenntnis einen höheren Wert hat als das menschliche Leben selbst.

Damit ist in dieser Interpretation klar, dass das Erkennen des wahrhaftig Seienden nicht in den Händen der Menschen liegt, sondern einzig und allein dem Daimonion unterliegt. Unser höchstes Bestreben?
 

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