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Cosmobile Putzfrauen

M

Marianne

Guest
Vielleicht ist diese Rezension der Beginn einer Diskussion - vielleicht aber auch nur Information.
Ich suchte etwas zu diesem Thema --- und fand den angegebenen Link.




Rerrich, Maria S.: Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten, Hamburg: Hamburger Edition, 2006, 168 Seiten, 16 Euro, gebunden, ISBN 978-3-936096-67-5

Die 50-jährige Maria Nowak arbeitet seit zwölf Jahren in Deutschland. Sie pendelt alle paar Wochen zwischen ihrer polnischen Heimatstadt und München, um sich als Putzfrau in Deutschland zu verdingen. Celina Gonzales ist 27 Jahre alt und kam 2000 von Ecuador nach Hamburg. Hier war sie zunächst als Sexarbeiterin tätig, dann bügelte sie für eine Reinigungsfirma, und seit einiger Zeit geht sie zweimal in der Woche putzen. Außerdem kocht sie gegen Bezahlung für ihre Nachbarinnen. Sie hat vier Töchter, drei werden von ihrer Familie in Ecuador aufgezogen, eine lebt bei ihr in Hamburg. Gemeinsam ist Maria Nowak und Celina Gonzales, dass sie „illegal“ in Deutschland leben und arbeiten. Die Münchner Soziologieprofessorin Maria Rerrich hat sie und sechs weitere „cosmobile Putzfrauen“ in privaten Haushalten in München und Hamburg interviewt. Zudem sprach sie mit Arbeitgeberinnen und ExpertInnen aus Politik, Verwaltung und der Sozialen Arbeit. Im Zentrum des Buches steht die Gruppe von Putzfrauen, die sie die Cosmobilen nennt. Das sind Frauen wie Maria Nowak und Celina Gonzales, die weder Einheimische noch „richtig“ Zugewanderte sind. Sie pendeln in regelmäßigen Abständen zwischen Deutschland und ihrem Heimatland, in dem ihre Familie lebt.

Bezahlte häusliche Arbeit ist ein sehr altes Phänomen: Dienstmädchen gab es in irgendeiner Form schon immer. Heute machen vielfach Migrantinnen als Au-Pairs oder als „Illegale“ diesen Job, putzen, versorgen Kinder und pflegen Alte und Kranke. Es gibt keine zuverlässigen Zahlen, wie viele informelle Beschäftigungsverhältnisse es in deutschen Haushalten gibt. Bekannt ist lediglich, dass 2000 etwa 4 Mio. Haushalte gelegentlich oder regelmäßig eine Haushaltshilfe beschäftigten, in der Beschäftigungsstatistik aber lediglich 40.000 sozialversicherungspflichtige Jobs auftauchten. Wie viele „illegale“ Migrantinnen darunter sind, ist ebenso wenig bekannt. Frauen, die „illegal“ eingereist sind bzw. keine Aufenthaltsgenehmigung haben, können gar nicht anders, als in der Schattenwelt zu arbeiten. Die Arbeit im Privathaushalt bietet sich an, weil sie vergleichsweise geschützt und gesellschaftlich unsichtbar ist. Jede Stadt hat laut Rerrich ein „spezifisches Putzfrauen-Nationalitäten-Profil“, welches genau deutet sie leider nur an: In München sind es vor allem Frauen aus Polen und dem ehemaligen Jugoslawien, in Hamburg hauptsächlich aus Lateinamerika, teilweise auch aus Afrika.
Im Leben der illegalisierten Migrantinnen spielen soziale Netzwerke, meist „ethnisch“ strukturierte, eine große Rolle: Über sie funktioniert die Einreise, die Arbeitsvermittlung, die alltägliche gegenseitige Unterstützung, die regelmäßige Reise zur Familie in der Heimatstadt. Manchmal teilen sich zwei Frauen die bezahlte Arbeit und die Wohnung in Deutschland ebenso wie die Versorgung der eigenen Familie in der Heimat nach einem Rotationssystem auf - auch als „Modell der polnischen Cousine“ bekannt.
Rerrich will keine Skandalfälle aufführen, sondern den „unauffälligen Normalfall“. Auffallend ist in ihrem Buch, dass die Arbeitgeberinnen (warum sind es eigentlich nie Männer?) alle freundlich und hilfsbereit sind: Sie bilden Unterstützungsnetzwerke und organisieren einen Benefiz-Faschingsball und Soliparties zur Unterstützung ihrer Putzfrauen. Auf Fälle von Misshandlung und Ausbeutung ist sie in ihren Interviews nicht gestoßen, bezweifelt aber nicht, dass es sie gibt.

Rerrich erinnert an die feministischen Debatten der 1970er und 1980er Jahre um Haushaltsarbeit und kritisiert die „Alltagsvergessenheit“ der Männer. Das Ende der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung wurde nie erreicht. Sie argumentiert, dass dieses dirty little secret des deutschen Wohlfahrtsstaats in den fehlenden institutionellen Betreuungsangeboten für Kinder, Alte und Kranke begründet liegt. Und stellt fest, dass viele Feministinnen ihrer Generation, die damals für eine Umverteilung der Haushaltsarbeit eingetreten sind und inzwischen Karriere gemacht haben, das Problem der Haushaltsarbeit in ihren Partnerschaften individuell gelöst, indem auch sie es auf Migrantinnen abgeschoben haben. Sie plädiert für eine Repolitisierung des Privaten und ein neues gesellschaftliches Leitbild.

Der Arbeitsmarkt Privathaushalt hat sich längst globalisiert. Während international die Debatte um domestic work schon älter und in anderen Ländern schon recht gut erforscht ist, rückt in Deutschland die bezahlte Hausarbeit von Migrantinnen in informellen prekären Beschäftigungsverhältnissen erst seit ein paar Jahren in den Fokus der (in der Regel weiblichen) Aufmerksamkeit. Die neue Beliebtheit des Themas scheint darin begründet, dass sich hier neue und alte Formen sozialer Ungleichheit im globalen Maßstab aufzeigen lassen. Denn hier kreuzen sich alle drei klassischen Dimensionen race, class, gender der soziologischen Ungleichheitsforschung.

Das Buch will einen „Einblick in die Lebensführung einiger, zum Teil illegal in Deutschland lebender ausländischer Putzfrauen“ liefern. Es liefert keinen empirischen Forschungsbeitrag über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Haushaltsarbeiterinnen in Hamburg und München oder darüber, wie bestimmte Migrationsnetzwerke funktionieren. Es ist nicht repräsentativ, will es auch nicht sein. Rerrich berichtet oft von eigenen biographischen Erfahrungen: von ihrer Flucht mit gefälschten Papieren als Kind, von den Gesprächen mit ihren Freundinnen, die migrantische Putzfrauen beschäftigen, ihrer Ehe und so weiter. Das Buch richtet sich an ein breiteres Publikum, es liest sich leicht, hat keinen wissenschaftlichen Stil und Apparat und ein gut kommentiertes Literaturverzeichnis.


Christian Schröder (Berlin)




Schröder, Christian, Jg. 1979; Dipl.-Politologe; promoviert zu (lokalen) Workfare-Politiken im europäischen Vergleich am FB Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Univ. Berlin.
Arbeitsfelder: Stadt-, Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsforschung. Mitgliedschaften: reflect, BdWi, ver.di

in:
http://www.sicetnon.org/modules.php?op=modload&name=PagEd&file=index&topic_id=33&page_id=549
 
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AW: Cosmobile Putzfrauen

Jaja, so ist die Welt. Schlimm. Typisch für einen deutschen Autoren bzw. dessen Verleger auch, daß zunächst der Mißstand im eigenen Lande verleugnet wird: daß niemand mehr aufräumen will. Der wissenschaftlich-neugierige Blick ist genauso obszön wie eine Politik, die einfache Arbeit als illegal erklärt, sofern sie von Migranten ausgeübt wird.

Stattdessen wird um den Preis eines Buches mit dem Leid derer gespielt, die unter oft schwierigsten Bedingungen herkommen, um sich ein paar wenige harte Euros zu verdienen.

Weiter: Die in derselben Arbeitsmigration entstehenden Probleme innerhalb des nahöstlichen bis ost-asiatischen Raums sind wesentlich größer, als der Europäer mit seiner harten Münze sich vorstellen kann - manchmal wird das im Fernseh gezeigt, aber nicht ohne den wohligen Schauer, daß die philipinische Putze es in Deutschland doch besser habe als in Saudi-Arabien oder Singapur.

Angesichts der im Zitat angeführten Beispiele kann man jedoch höchstens resümieren, daß Deutschland bislang eine geregelte Einwanderungspolitik versäumt hat.

Grüße, Thorsten
 
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