Hallo, Lacu!
Ich würde mich freuen, wenn Du dieses schöne Gedicht noch einmal bearbeitest. Einige kleine Tipps sind nicht verbindlich.
Inhaltlich ist das Gedicht ganz starkt - sprachlich kann es es auch werden.
wiespalt
Ich flehte, bat, und konnt nichts tun I/2
fragt ich mich dann, wer bin ich nun?
Wer weiss wer weiss II/3
was willst du wissen?
Sprichst du mit mir, oder mit deinem Gewissen?
Nein wissen will ich, wer da spricht, I II/2
Ich sehe im Spiegel nur mein Gesicht
Wer weiss, wer weiss IV/ 4
wen Du dort siehst
Wissest Du um die Geister,
die Du da riefst?
Nein, sag mir doch nun, wer ich bin V/2
Mein Gewissen betrügt mich ohnehin
Wer weiss, wer weiss
Du sprichst voller dunklem Grauen VI/3
so hab doch mal zu Dir Vertrauen
Nein, sehe ich doch gross und listig
machst Dich um meiner Willen lustig VII/2
Wer weiss, wer weiss
Im Verstande denkst Du allerhand VIII/3
ich bleib dabei stets unerkannt
Nein, ich höre nur Du lügst mich an IX/2
geb mich nicht ab, mit solch ein Wahn
Wer weiss, wer weiss
wer da im Unbedachte lügt, X/3
wer stets verneint und auch betrügt
Nein, reden möcht ich mit Dir nicht XI/2
Du Lügner bist ein kleiner Wicht
Wer weiss, wer weiss
ich verschließe nun den Riegel XII/3
schau weiter in Dein matten Spiegel
so wirst Du eines Tages sehen XIII/2
und wiedereinmal zu mir flehen
warum das Alles so geschah, XIV/2
glaub mir, ich bin immer da
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Das ist ein Text, der die tiefen Selbstzweifel eines nach sich fragendem Ich in schlichter Sprache wiedergibt.
Der Verzicht auf jegliche Art von Metaphorik weist deutlich auf Gedankenlyrik hin.
Und schon der Titel: Zwiespalt weist auf die Grundthematik hin.
In I 1-2 erfahren wir, dass das lyrische Ich wohl in einer zunächst ganz hoffnungslosen Situation - vielleicht in einer existenziellen Krise - beginnt zu fragen: Wer bin ich nun?
Ab II beginnt nun ein fast magisch anmutender Dialog.
Das lyrische Ich:
Wer weiß, wer weiß 1
Eine anonyme Stimme:
Was willst du wissen? 2 sprichst du mit mir ( oder- das würde ich weglassen) – mit deinem Gewissen 3
Wenn Du, Lacu, das* oder* weglässt, wird der Dialog spannender. Der Leser weiß nicht, welcher Persönlichkeitsanteil fragt und welcher antwortet. ER will es aber wissen und liest weiter.
In III wischt das lyrische Ich ganz aufgeregt diese Spekulation weg und verweist auf die Kernfrage: das Ich will nicht wissen – also zergliedern, wer da spricht – nix von Gewissen:
Das Ich leidet an seiner Spiegelbildlichkeit und weiß aber nicht, was es im Spiegel sieht.
Könnte das Spiegelbild der Frager in II sein?
In IV „ Wer weiß, wer weiß IV/ 4
wen Du dort siehst
kennst Du die Geister, wissest – diese Form ist falsch
die Du da riefst? „ Zitatende
warnt der magische Partner das lyrische Ich weiter zu fragen.
V Nein, sag mir doch nun, wer ich bin
Gewissen trügt doch ohnehin die Änderung ist nur ein Vorschlag von mir)
Hier nimmt das lyrische Ich die Gewissensfrage doch auf – lehnt es aber ab, sich mit dem Gewissen einzulassen. Allzu viel betrügt es – ist es Spiegelbild fremder Prägungen.
Es wiederholt eindringlich die Frage nach sich selbst.
VI
Wer weiß, wer weiß
Du sprichst voll dunklem Grauen
so habe doch zu Dir Vertrauen ( die Änderung ist ein Vorschlag)
Sehr schön ist hier die Unklarheit in VI/1 in der Frage: wer spricht.
Ich neige eher dazu, diese eindringliche Frage das magische Gegenüber stellen zu lassen.
VI/2und 3 ist das klar. Diese Stimme lässt Mitgefühl erkennen und den Willen zu helfen:
Die einzige Hilfe, die ein Suchender wohl annehmen kann: Habe Mut zu Dir zu stehen!
VII
Nein! sehe ich Dich groß und listig
machst Dich um meiner Willen lustig VII/2
Diesen Gedanken - der völlig logisch in Deinen Text passt -würde ich sprachlich etwas „flüssiger“ machen.
In etwa:
Nein! Sehe ich Dich groß und stark
Spielst mit mir – das ist arg.
Die inhaltliche Aussage bleibt die gleiche: das lyrische Ich misstraut der Stimme, von der es nicht glauben mag, dass es die Stimme des Gewissens oder die Antwort eines leeren Spiegelbildes ist.
VIII
Wer weiss, wer weiss
Im Verstande denkst Du allerhand VIII/3
ich bleib dabei stets unerkannt
Sieh Dir mal diese Version an:
Wer weiß, wer weiß
Du denkst Dir allerhand.
Ich bleibe dabei unerkannt.
Das lyrische Ich baut seine Barrikaden gegen sein Gegenüber weiter aus. Es kritisiert, dass es nicht richtig sei, nur gedanklich- reflektorisch sich dem Mitmenschen zu öffnen. Das eröffnet nicht alle Facetten eines Menschen.
IX
Nein, ich höre nur, Du lügst mich an IX/2
geb mich nicht ab, mit solchem Wahn ( kleine Änderung)
Ziemlich gnadenlos weist der magische Sprecher die impliziten Vorwürfe des lyrischen Ichs zurück. Er vermag nur Lügen, also bewusste Täuschungen, zu hören, will sich nicht Vorstellungen abgeben.
X
Wer weiß, wer weiß
wer da im Unbedachten lügt,
wer stets verneint und auch betrügt ganz kleine Änderung
Der magische Sprecher – wir werden bis zum Schluss nicht erfahren, wer er ist und deshalb wird dieser Sprecher ein Hauptträger der Deutung sein, fährt in seiner Anklage fort.
Er gibt dem lyrischen ich zu bedenken, dass Lüge auch unbewusst erfolgen kann: stete Verneinung sei auch Betrug.
Meint der Sprecher damit, dass es Betrug an sich selbst ist, sich stets nur in Frage zu stellen ? Keine positive Sicht auf sich selbst ( und andere?) zuzulassen?
XI
Nein, reden möcht ich mit Dir nicht XI/2
Du Lügner bist ein kleiner Wicht
Ganz dezidiert verweigert der magische Sprecher den weiteren Dialog. Er wiederholt die Gedanken der zehnten Strophe.
XII
Wer weiß, wer weiß?
ich verschließe nun den Riegel XII/3
schau weiter in Deinen matten Spiegel deinen
Ein sehr schöner Satz: fast resigniert bestärkt der magische Redner seine Dialogverweigerung. Der Rat, weiter in den eigenen Spiegel zu scheuen, der matt ist, keine Erkenntnis vermittelt, vermittelt mir diesen Eindruck
Nun geht das Zwiegespräch schnell zu Ende – der Sprecher lässt dem lyrischen Ich keine Möglichkeit mehr zu antworten.
XIII und XIV
so wirst Du eines Tages sehen XIII/2
und wiedereinmal zu mir flehen
warum das Alles so geschah, XIV/2
glaub mir, ich bin immer da
Die Folgen des In-den-Spiegel- Schauens werden eindringlich dargestellt.
Selbstbespiegelung – Narzissmus führen nie zum Kern der eigenen Persönlichkeit.
Und wenn das lyrische Ich das irgendmal eingesehen hat, wird es wieder zum Sprecher kommen und um Hilfe flehen.
Dieser Helfer ist immer da.
Aber, wer ist er?
Ich traue mich zu sagen, dass ist der Persönlichkeitsanteil jedes Menschen , der zum Du drängt, der sich schließlich nur im Du wieder findet.
Es bleibt mir nur noch zu sagen, dass dieses Gedicht mir den Zwiespalt des Menschen zwischen Selbstliebe und Liebe zu anderem – Menschen, Tiere, Sachen - aufzeigt.
Besonders schön ist die Eindringlichkeit der Sprache – sei nicht böse über meine kleinen Verbesserungen –
Das Gedicht ist – trotz kleiner, leicht zu behebender Holprigkeiten in der Sprachführung – verzeih, dass ich es gewagt habe „ nachzubessern“ sehr ausdrucksstark.
Wir spüren eine suchende Seele, die von gedanklicher Zergliederung wenig hält, vom Mut, so zu sich zu stehen, wie man ist, ebenfalls nichts.
Wir lesen aber auch, spüren es, dass diese Seele den Weg „ aus sich heraus“ aus dem Spiegelbild ( das Bild des Narziss fällt unwillkürlich ein ) zum andern finden wird.
Denn dieser andere Weg ist immer da. Er ist auch in uns. Manchmal brauchen wir aber Helfer
Liebe Grße
Marianne