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Zum Tode von George Tabori

Miriam

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26. Juni 2005
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9.722
"König Lear hat die Bühne verlassen" – sagte gestern Claus Peymann zum Tode dieses großen Theatermenschen - aber ich bin mir nicht sicher, ob der Vergleich mit König Lear, außer das er sehr schön klingt, auch tatsächlich zutrifft. Denn König Lear ist die tragische Gestalt par exelence, George Tabori war es eigentlich nicht, obwohl - oder eben wegen der tragischen Ereignisse die seine Jugend geprägt hatten, die einen großen Teil der Themen seines schriftstellerischen Werkes ausmachen.
Die Inszenierung von König Lear bleibt übrigens ein unerfüllter Wunsch von Tabori – und wir werden nie wissen was er aus Shakespeares Drama gemacht hätte.

Elfriede Jelinek drückte es sehr treffend aus als sie sagte: "Was ich an seinen Stücken immer bewundert habe, war die ironische Leichtigkeit, mit der er die entsetzlichsten Dinge gefasst hat."

George Tabori mochte die Bezeichnung Regisseur nicht – und meinte über sich: "Ich bin ein Spielmacher" und fügte hinzu, dass das Wort Regisseur ihn zu sehr an "regieren" erinnern würde.

Sein Interesse am Theater verlor er bis zum Schluss nicht - auch wenn die körperlichen Gebrechen des Alters immer größer wurden. Bis vor einigen Wochen saß er bei der Premiere seiner Stücke in der ersten Reihe – manchmal auch mit auf der Bühne um alles verfolgen zu können, denn durch ein Augenleiden sah er gegen Ende nur noch verschwommen.
Man weiß auch, dass er schon bettlegerisch die Schauspieler bei sich zuhause empfing um sie weiterhin zu beraten.

Tabori nannte sich den "dienstältesten Theatermacher der Welt" und konnte vielleicht seine geistige Frische am besten erklären indem er sagte: "Ich betrachte die Welt mit den Augen eines Kindes und sehe daher immer neue Sachen".

George Tabori wurde 1914 in einer jüdischen Familie in Budapest geboren – er nannte sich eigentlich Györgi. Der Vater, ein strenger Journalist, wollte dass der Sohn "etwas ordentliches lernt". So zog der Sohn Anfang der der 30er Jahre nach Berlin und dann nach Dresden um einer Lehre des Hotelfachs zu folgen. Er hat übrigens einige Zeit als Hotelboy im Hotel Adlon gearbeitet. Doch bald betätigte er sich als Journalist und Übersetzer.

Da George Tabori die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannte, floh er 1936 nach England.
Der Vater wurde in Auschwitz vergast, die Mutter konnte sich mit viel Mut und Intelligenz retten – ihr setzte der Sohn ein Denkmal in seiner Erzählung "Mutters Courage". Das Stück wurde als Drama und auch filmisch später umgesetzt und wurde ein großer Erfolg.
Auch hier wie überall in seinen Erzählungen oder Theaterstücken sind Lachen und Weinen nicht voneinander zu trennen – das war die große Kunst von Tabori.

Vielleicht hat eben dadurch George Tabori den Deutschen bei der so genannten Vergangenheitsbewältigung geholfen, er machte seine Späße mit dem Holocaust, die aber nie Grenzen überschritten haben, und enttabuisierte zum Teil auf seiner Weise dieses schmerzhafte Thema.
Doch hinter seinen Späßen bleibt das Drama spürbar – die Katastrophe ist doch immer präsent.
Hatte er das vom Vater? Man erzählt, dass dieser bei seinem Gang in die Gaskammer gesagt haben soll: "Nach Ihnen, Herr Mandelbaum!" Ein Satz, der aber sehr an den eigenartigen Humor von George Tabori erinnert.

Eine zeitlang war Tabori Auslandkorrespondent auf dem Balkan, arbeitete für die BBC.
Seit 1945 war er britischer Staatsbürger – doch es zog ihn nach Hollywood wo er unter anderem auch für Alfred Hitchcock schrieb und wo er Werke von Bert Brecht ins Englische übersetzte.

Nach Berlin kehrte George Tabori im Jahr 1968 zurück – und inszenierte am Schillertheater sein Stück "Die Kannibalen". Denn es beschäftigte ihn immer das Schicksal dem er entgangen war und er war durchaus der Meinung, dass man Theaterstücke schreiben und spielen kann rund um solche tabuisierten Themen.
Nur wenn man Tabus zerstört, meinte Tabori, erstickt man nicht an ihnen. Deutlich steht das Schicksal seines ermordeten Vaters im Mittelpunkt des Stückes "Die Kannibalen" – in welchem KZ-Häftlinge vor der Wahl stehen: entweder die Gaskammer – oder sie fressen einen Mithäftling auf.

Seine manchmal sehr spezielle und direkte Ausdrucksweise lässt ihn sagen, dass unsere Alpträume genau so notwendig sind wie "der tägliche Triumph unserer Gedärme". Und außerdem:
"Unmöglich ist es, die Vergangenheit zu bewältigen, ohne dass man sie mit Haut, Nase, Zunge, Hintern, Füßen und Bauch wiedererlebt hat."

Seine Aktivitäten setzt er fort an verschiedenen deutschsprachigen Bühnen, in Bremen, München, Köln, Bochum und Wien. Mit seinem Stück "Die Akte Brecht" wurde im Jahr 2000 die neue Theaterära des Berliner Ensembles unter Claus Peymann eröffnet.

Ich erinnere mich an die wunderbare Feier die das Berliner Ensemble anlässlich des 90ten Geburtstages des großen Theatermachers organisierte, mit einem wunderbar bescheidenen Tabori der aber doch selbstbewusst und erfreut die vielen sehr persönlichen Glückwünsche entgegennahm von Freunden und Weggefährten wie Jürgen Flimm, Senta Berger, Wolf Biermann, Angelika Domröse, Hanna Schygulla, Johannes Rau, Peter Radtke, etc… um nur einige zu nennen.

Man spürte auch damals deutlich das was in den letzten zwei Tagen immer wieder zum Ausdruck kommt: Tabori war nicht nur der große Theatermensch – sondern in erster Linie ein Mensch den man liebte und der die Menschen liebte.

Wie Claus Peymann sehr treffend sagte: "Solche Menschen wachsen nicht nach."

George Tabori bei der Feier zu seinem 90ten Geburtstag:

http://p3.focus.de/img/gen/T/Z/HBTZ...s.de/img/gen/T/Z/HBTZJLqg_Pxgen_r_600x429.jpg



 
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AW: Zum Tode von George Tabori

..."Ich betrachte die Welt mit den Augen eines Kindes und sehe daher immer neue Sachen".

...Auch hier wie überall in seinen Erzählungen oder Theaterstücken sind Lachen und Weinen nicht voneinander zu trennen – das war die große Kunst von Tabori.

...Doch hinter seinen Späßen bleibt das Drama spürbar – die Katastrophe ist doch immer präsent.
Hatte er das vom Vater? Man erzählt, dass dieser bei seinem Gang in die Gaskammer gesagt haben soll: "Nach Ihnen, Herr Mandelbaum!" Ein Satz, der aber sehr an den eigenartigen Humor von George Tabori erinnert...

Miriam, dazu möchte ich auch etwas erzählen und hoffe, ich darf es.

Tabori erzählte mal in einem Interview, wie er als Dreikäsehoch mit seinem Vater im Zirkus war.
Eine schöne Seiltänzerin faszinierte den kleinen George sehr, wie sie dort oben, unter dem Chapiteau-Dach in ihrem glitzernden Trikot anmutig turnte... und dann rutschte sie aus und fiel... und da lag sie auf dem staubigen Manegeboden in einer Blutlache... tot.
Und der kleine George dachte sich dabei nur: "So muss Theater sein. Eine schöne Frau spaziert auf einem Seil, fällt runter und stirbt."

Ich glaubte und glaube zwar eher, dass dieser Gedanke erst später zu dem Erlebnis kam, aber schockiert war ich damals trotzdem ziemlich über die lakonische, zynische Schilderung.
Erst als ich die Aufführung von "Mein Kampf" sah, habe ich die Menschlichkeit darin auch richtig begriffen: Erst noch hast du dich vor Lachen gebogen und schon krümmst du dich vor Schmerz. So meine etwas pathetische "Uebersetzung".
Ein Zitat von Werner Finck (nicht darauf bezogen) trifft es wahrscheinlich noch viel besser: Humor ist die Lust zum Lachen, wenn einem zum Heulen ist.

Eine ganz kurze, unheimlich tragikomische Szene aus "Mein Kampf" möchte ich hier noch gerne dazu anfügen:

Im Männerasyl an der Blutstrasse erklärt der cholerische Neurotiker und Tagedieb Hitler dem Hausierer Schlomo Herzl seine ehrgeizigen Pläne, die ganze Welt zu erobern...

(sinngemäss)
Schlomo: "...die ganze Welt?"

Hitler: "Ja. Die ganze Welt!"

Schlomo: "Neuseeland auch?"

Hitler: "Ja. Neuseeland ganz besonders!"

:blume1:
 
AW: Zum Tode von George Tabori

Danke dir sehr Céline, es würde mich sehr freuen wenn man mehr noch ergänzend zu meinem Versuch eines Nachrufs auf George Tabori schreiben würde.
Erst wie ich mich fast zwei Tage lang mit ihm befasst habe, hatte ich den Eindruck er sei eigentlich so eine große und vielseitige Persönlichkeit, dass es sehr schwer fällt ihn in einem Beitrag zu erfassen.
Außerdem war es für mich ein wenig auch so etwas wie Trauerarbeit über ihm zu lesen und zu schreiben.

Muss leider weg - à bientôt

Miriam

 
AW: Zum Tode von George Tabori

Noch schnell ein Zitat von George Tabori welches ich seit zwei Tagen gesucht habe und jetzt endlich fand, wenn auch der Satz nicht vollständig wiedergegeben wird:

«Ich möchte so sterben, wie ich geboren bin, nur andersherum. Aber es ist sehr schwierig, eine Frau zu finden, die bereit ist ...»

Gefunden im St. Galler Tagblatt
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Zum Tode von Michel Serrault, Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni

Ich möchte nun wirklich keine neuen Threads eröffnen um über die Filmemacher bzw. Schauspieler zu schreiben die in den letzten Tagen gestorben sind – also nach dem Tod von George Tabori.
Es macht schon fast den Eindruck, dass der alte Herr doch noch seine Gespräche über das Theater und den Film mit Menschen fortführen möchte, die dessen würdig sind.

Michel Serrault, einer der größten Schauspieler Frankreichs, geboren in 1928, starb am 29. Juli. Bekannt war Serrault sowohl als Theaterdarsteller als auch als wunderbarer Kinoschauspieler – seine wahrscheinlich bekanntesten Filme sind "La cage aux folles" (Ein Käfig voller Narren), "Das Verhör" (mit Lino Ventura) und der sehr anrührende Film "Nelly et Monsieur Arnaud" in dem die wunderbare Emmanuelle Béart als Nelly an seiner Seite spielt. "Der Schmetterling" ist einer seiner letzten Filme.

Bemerkenswert war die breite Palette seiner Rollen – denn er war ein großer Komiker, doch genau so differenziert gestaltete er seine dramatischen oder einfach nur melancholischen Rollen.

Ingmar Bergman – der große schwedische Regisseur wurde in 1918 in Uppsala geboren – er starb am 30. Juli auf Fårö.

Aus einer strengen Pfarrersfamilie stammend, war eigentlich das Leitmotiv vieler seiner Filme, der Blick hinter den schön aufgeräumten Fassaden, die Zerrissenheit der Menschen, die Ängste die hinter den Anschein sie eigentlich quälen - und auch die Obsessionen die aus der unterdrückten Sexualität entstehen.
Bergman war in seinem Frühwerk stark von August Strindberg beeinflußt. Hauptsächlich die Filme seiner ersten Schaffensperiode, sind von einem starken Pessimismus geprägt.

Im Jahr 1962 sorgt der Film "Das Schweigen" für Empörung – man findet die Geschichte der Nymphomanin die darin erzählt wird, viel zu freizügig – und er erhält einen Aufführungsverbot.
Doch eigentlich ist "Das Schweigen" Teil einer Trilogie, zu der noch gehören: "Wie in einem Spiegel" (1961) und "Licht im Winter" (1963).
Bergmann stellt darin philosophisch-existentielle Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Existenz Gottes.

Doch die internationale Anerkennung Bergmans kam schon 1957 durch den Film "Wilde Erdbeeren".
Er arbeitete gerne mit Schauspielern die er zum Teil selber entdeckt hatte und denen er immer neue Rollen in seinen Filmen anvertraute.
Dazu gehören Liv Ullmann, Bibi Andersson, Ingrid Thulin oder Erland Josephson.

Mit Liv Ullmann und Erland Josephson drehte Bergman in 1973 sein berühmtes und sehr nuanciertes Psychogramm "Szenen einer Ehe". Wie auch bei anderen Bergman-Filmen, stehen im Mittelpunkt des Filmes eigentlich die Dialoge.
Dieser Film sollte einer seiner größten und auch populärsten Werke werden.

Als er der Steuerhinterziehung beschuldigt wurde, verließ Bergman Schweden und lebte ca. 10 Jahre in München, wo er am Residenztheater öfters Regie führte und auch den wunderbaren Film "Aus dem Leben der Marionetten" inszenierte, der – so scheint es mir – nicht so bekannt ist wie er es eigentlich verdient hätte.

Bergmans Werk wurde durch viele großen Preise ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Goldenen Bären, dem Oscar, dem Goldenen Löwen von Venedig und die Ehren-Palme in Cannes.

Michelangelo Antonioni – einer der ganz großen Regisseure und ein Pionier des italienischen Films der Nachkriegszeit, wurde 1912 in Ferrara geboren – er starb am 30. Juli.
In den achtziger Jahren wurde er groß gefeiert anlässlich der Filmfestspiele von Venedig – doch sein Erscheinen stimmte auch traurig – da man deutlich die Spuren die der schwere Schlaganfall von 1985 hinterlassen hatte wahrnehmen konnte.

Zu seinen sehr großen Filmen zählt in erster Linie "Blow Up" der ihn auch außer Italien bekannt machte. Ich denke, dass dieser Film aus dem Jahr 1966 sogar der jüngeren Generation bekannt sein müsste.

Doch schon in 1954 hatte Antonioni seinen ersten großen Spielfilm gedreht: "Chronik einer Liebe" - andere ebenfalls bemerkenswerte Filme folgten, ich erwähne hier nur noch "Die Nacht", gedreht in 1960.
Alle diese Filme prägten einen neuen Stil der von einem berühmten Filmkritiker als "Innerer Neo-Realismus" bezeichnet wurde.
Im Jahr 1973 drehte Antonioni seinen großen Erfolg "Beruf: Reporter" mit Jack Nicholson in der Hauptrolle. Wieder wandert dabei Antonioni zwischen Realität und Fiktion – wie so oft in seinen Filmen.

Nach seinem Schlaganfall arbeitete er nur noch selten – doch der Unterstützung von Wim Wenders ist es zu verdanken, dass Antonioni mit einem Autorenfilm so zu sagen Abschied nehmen konnte von seinem Publikum.
So entstand 1994 "Jenseits der Wolken" – Wim Wenders arbeitete neben Antonioni als Stand by Regisseur.
Auch Wenders hat diese tolle Zusammenarbeit dokumentiert in einem fotografischen Tagebuch mit dem Titel: "Die Zeit mit Antonioni. Chronik eines Films". Wenders charakterisiert den Altmeister mit den Worten:

"Unter seinen Augen gerät wirklich jede Kopfbewegung, jede Geste, jede Kamerabewegung zu etwas Notwendigem, Unabänderlichem, Unverwechselbarem."

 
Frage

"Große" Menschen verdienen große Nachrufe.

Woher kennst Du sie alle so ausführlich, Miriam?
 
AW: Frage

"Große" Menschen verdienen große Nachrufe.

Woher kennst Du sie alle so ausführlich, Miriam?

Die Antwort bedarf einiger Erklärungen: Es ist meine Generation die sich da allmählich verabschiedet, auch wenn ich erst in den Siebzigern bin...
Tabori kommt aus meiner Ecke, er ist ungarischer Abstammung - ich stamme aus dem Westen Rumäniens und spreche daher auch (gebrochen) Ungarisch. Ich habe seit Jahrzehnten Taboris Tätigkeit verfolgt und fand ihn auch als Mensch faszinierend. Er war 93 als er starb - und doch gestehe ich, dass ich manch Träne vergossen habe als ich das las.

Nun zu den anderen die ich erwähne. Für alle gilt, dass ich die Filmkunst sehr liebe, in einer Zeit ziemlich besessen davon war.
Michel Serrault ist mein Lieblingsschauspieler unter den Franzosen - Ingmar Bergman hat mich hauptsächlich früher sehr beschäftigt, nicht nur als Filmemacher, sondern auch durch die Problematik die er anspricht. Und Antonioni war neben den viel zu früh verstorbenen Fellini, einer der größten Filmemacher Italien. (Persönlich mag ich zum Beispiel Visconti nicht - kann es aber nicht erklären).
Ich fand es furchtbar, dass sie sich alle so einer nach dem anderen verabschiedeten.
Und so steckt - hauptsächlich im Nachruf auf George Tabori, auch ein Stück Trauerarbeit.

Liebe Grüße

Miriam
 
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