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Völkerschauen - ein düsteres Kapitel, welches sich als wissenschaftlich verstand

Miriam

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26. Juni 2005
Beiträge
9.722
Man hört ihn kaum noch heute, diesen Begriff, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkam und eigentlich schon eine Vorstufe des Rassismus der 30. Jahre ist: das Völkerschauen.
Was beinhaltet eigentlich dieser Begriff?

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden in Deutschland Menschen zur Schau gestellt, die fremden Kulturen angehören - und die dabei auch effektvoll in Szene gesetzt werden. Sie sollen ihre Bräuche darstellen, doch was typisch dafür sei, das entscheiden diejenigen, die die fremden "Exponate" nach Deutschland gebracht haben, um sich an diesen unwürdigen Schaustellungen zu bereichern.

Einer der bekanntesten Betreibern des Völkerschauen ist der Hamburger Unternehmer Carl Hagenbeck. Er beauftragt einen Schiffskapitän ihm Ureinwohner mit Geld und guten Versprechungen nach Deutschland zu bringen.
Das Völkerschauen findet im Berliner Zoo des Unternehmers statt, und lockt ein großes Publikum an. Darunter befinden sich auch bekannte Namen, wie der Arzt Rudolph Virchow, der die Körperproportionen der Exponate, nach genauem Messungen, festhält und auch ihre Gewohnheiten, so wie sie in Szene gesetzt werden, notiert.

Wir haben es den Greifswalder Philologen Prof. Hartmut Lutz zu verdanken, dass er das Tagebuch eines der Exponate entdeckt und ausgewertet hat - und uns auf dieser Weise einen Einblick ermöglicht in die menschenunwürdige Behandlung und auch in den Dramen die sich eigentlich abgespielt haben beim Völkerschauen.

Wer ist der Mensch, der mit seiner Familie nach Deutschland als Exponat des Zirkus Hagenbeck gelangt, der dank seiner Kultur und auch seiner Beobachtungsgabe ein Tagebuch hinterlassen hat, welches das ganze Elend festhält? Es sind seine Aufzeichnungen die Prof. Hartmut Lutz als Basis seiner Nachforschungen dienten.

Die Beschreibung dessen was eigentlich Schaustellung bedeutet, haben wir den aus Labrador (Hebron) stammenden Inuit Abraham Ulrikab zu verdanken. Ulrikabs Tagebuch wurde in Kanada, in einer deutschen Fassung, gefunden. Übersetzetzt wurde das Dokument vom Missionar Karl Gottlieb Kretschmer.

Eine der Eintragungen des Inuit lautet:

"Paris, am 8. Januar 1881: Mein lieber Lehrer Elsner! Ich schreibe an Dich sehr niedergebeugt, und bin sogar sehr betrübt vor Dir, meiner Angehörigen wegen; denn unser Kind, das ich so sehr liebte, lebt auch nicht mehr; es ist an den bösen Pocken gestorben. Nur vier Tage nach der Erkrankung entschlief es. Meine Frau und ich werden durch den Tod des Kindes sehr daran erinnert, dass auch wir sterben müssen."

Elsner, der hier gemeint ist, ist einer der deutschen Missionare, die in Hebron zu dem Zeitpunkt eine Siedlung gegründet hatten, in der auch Abraham Ulrikab mit seiner Familie lebte. Auf den Schilderungen der Missionare baut das Vertrauen derer die sich nach Deutschland, in der Hoffnung auf Reichtum, locken lassen.

Auch in der Chronik der Missionsstation Hebron ist im Sommer 1880 die Ankunft eines Schoners festgehalten - und dessen Kapitän wurde von Carl Hagenbeck beauftragt, Ureinwohner nach Deutschland zu bringen. Es ist nicht nur die Familie von Abraham Ulrikab die nach Deutschland aufbricht, sondern auch die des Schamanen Terrianak.

Hartmut Lutz meint:

"Abraham war ein sehr gebildeter Mensch, also nach dem damaligen Standard. Er spielte Violine, er zeichnete, er war eine große Stütze für die Mission. Und die Missionare hofften, als er sich entschloss, tatsächlich mit nach Europa zu fahren, dass er davon profitieren würde, dass er zum Beispiel sein Violinspiel vervollkommnen würde."

(Fortsetzung folgt)
 
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Liebe Miriam, seien wir doch froh, dass es diesen Begriff heute nicht mehr im aktiven Wortschatz gibt.
Ich finde es schlimm genug, das wir alle immer mehr und mehr " Völkerschauern auf den Leim gehen.
Unsere Effen ( FPÖ) machen aus diesem Völkerschauen- dem Auseinanderdifferenzieren des Menschen - dem Schauen nach dem Verschiedenen anstelle nach dem Einigenden - einen Hasswahlkampf gegen Ausländer, im speziellen gegen die Muslime.
Nein, den Begriff gibt es nicht mehr - das TUN aber sehr wohl.
Das beweist, dass die alten national - chauvinistischen Stimmen nicht verstummt sind und dass Worte Schall und Rauch sind, Taten aber zählen.
 
Marianne,

je mehr ich über die Völkerschau lese, begreife ich, dass sie nicht nur auch noch heute praktiziert wird - sondern sogar im individuellen Verhalten wiederzufinden ist.
Der Blick dessen der sich im Publikum befindet und sich das Zur-Schau-Stellen vorführen lässt, ist ein vergleichender und oft unerbittlicher. Zugleich ist es auch die Sicht eines der sich überlegen fühlt, denn der andere wird vorgeführt - er nicht. Und auch der musternde Blick auf den anderen, ist oft nicht frei davon. Es werden Maßstäbe dabei gesetzt und es entsteht die Überzeugung, dass die persönlichen Normen die allgemein gültigen sind, alles andere ist in Gefahr als verwerflich betrachtet zu werden und einer unerbittlichen Kritik unterzogen.
Wie einseitig diese Kritik ist und wie subjektiv die Maßstäbe, wird dabei vergessen.

Doch jetzt weiter zur Geschichte der Völkerschau und der Inuits.

Das Schiff aus Deutschland, kehrt nach Hamburg zurück mit acht Inuit am Bord. Abraham hat seine Frau dabei, seine beiden Kinder und einen Neffen. Ausserdem reisen nach Deutschland die dreiköpfige Familie des Schamanen Terrianiak ein.

Abraham schreibt nach wenigen Tagen des Aufenthaltes im Berliner Zoo:

"In Berlin ist es nicht wirklich schön, weil es vor Menschen und Bäumen unmöglich ist, ja, weil so viele Kinder kommen. Die Luft rauscht beständig vom Geräusch der Gehenden und Fahrenden, unsere Umzäunung ist augenblicklich gleich voll. [...] Unsere Mitmenschen, die Fuchsfamilie Terrianiakat hören auf, vergnügt zu sein, weil sie müde sind der Leute."

(Zur Übersetzung und Auswertung des Tagebuches von Abraham Ulrikab habe ich im ersten Beitrag einiges geschrieben).

Die Völkerschau wird dann von Hagenbeck auch in Frankfurt, Darmstadt und Krefeld vorgeführt. Danach folgt ein Aufenthalt in Prag. Als der Herbst kommt, leiden die Inuit zusätzlich zu dem Heimweh der sie immer mehr quält, auch unter den klimatischen Bedingungen - doch darauf wurde und wird nicht Rücksicht genommen. Dies alles hält Abraham in seinemTagebuch fest, aber auch die Tatsache, dass sein Neffe von Hagenbecks Impresario geprügelt wird.

Weiter schreibt Abraham in seinem Tagebuch:

"In Darmstadt [...] hörte eins von uns, Terrianiaks Tochter Nochasak, auf zu leben, sehr schnell und schrecklich groß leidend. Nach dieser, in einem anderen Land in Krefeld starb auch ihre Mutter, auch groß leidend. Nach dieser hörte auch die kleine Sara auf zu leben im Frieden, an großem Ausschlag und Geschwulst, weil sie überall geschwollen war."

Die Mitarbeiter von Hagenbeck hatten ausserdem versäumt die Inuit gegen Pocken zu impfen. Als eine Pockenepidemie ausbrach, starben alle Inuit, fünf von ihnen erst in Paris in Januar 1881.

Das Werk welches diese tragische Reise und die beschämenden Umstände des Völkerschauen schildert, wurde zuerst in Kanada veröffentlich. Dazu nochmals Prof. Hartmut Lutz:

"Mein Interesse an der ganzen Sache war primär, diesen Text zu übersetzen und heutigen Inuit zugänglich zu machen".

Die deutsche Ausgabe dieses Dokumentes wird als Abschlußarbeit einer der Studentinnen von Lutz erscheinen.
 
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Miriam schrieb:
Marianne,

je mehr ich über die Völkerschau lese, begreife ich, dass sie nicht nur auch noch heute praktiziert wird - sondern sogar im individuellen Verhalten wiederzufinden ist.
Der Blick dessen der sich im Publikum befindet und sich das Zur-Schau-Stellen vorführen lässt, ist ein vergleichender und oft unerbittlicher. Zugleich ist es auch die Sicht eines der sich überlegen fühlt, denn der andere wird vorgeführt - er nicht. Und auch der musternde Blick auf den anderen, ist oft nicht frei davon. Es werden Maßstäbe dabei gesetzt und es entsteht die Überzeugung, dass die persönlichen Normen die allgemein gültigen sind, alles andere ist in Gefahr als verwerflich betrachtet zu werden und einer unerbittlichen Kritik unterzogen.
Wie einseitig diese Kritik ist und wie subjektiv die Maßstäbe, wird dabei vergessen.

Doch jetzt weiter zur Geschichte der Völkerschau und der Inuits.

Das Schiff aus Deutschland, kehrt nach Hamburg zurück mit acht Inuit am Bord. Abraham hat seine Frau dabei, seine beiden Kinder und einen Neffen. Ausserdem reisen nach Deutschland die dreiköpfige Familie des Schamanen Terrianiak ein.

Abraham schreibt nach wenigen Tagen des Aufenthaltes im Berliner Zoo:

"In Berlin ist es nicht wirklich schön, weil es vor Menschen und Bäumen unmöglich ist, ja, weil so viele Kinder kommen. Die Luft rauscht beständig vom Geräusch der Gehenden und Fahrenden, unsere Umzäunung ist augenblicklich gleich voll. [...] Unsere Mitmenschen, die Fuchsfamilie Terrianiakat hören auf, vergnügt zu sein, weil sie müde sind der Leute."

(Zur Übersetzung und Auswertung des Tagebuches von Abraham Ulrikab habe ich im ersten Beitrag einiges geschrieben).

Die Völkerschau wird dann von Hagenbeck auch in Frankfurt, Darmstadt und Krefeld vorgeführt. Danach folgt ein Aufenthalt in Prag. Als der Herbst kommt, leiden die Inuit zusätzlich zu dem Heimweh der sie immer mehr quält, auch unter den klimatischen Bedingungen - doch darauf wurde und wird nicht Rücksicht genommen. Dies alles hält Abraham in seinemTagebuch fest, aber auch die Tatsache, dass sein Neffe von Hagenbecks Impresario geprügelt wird.

Weiter schreibt Abraham in seinem Tagebuch:

"In Darmstadt [...] hörte eins von uns, Terrianiaks Tochter Nochasak, auf zu leben, sehr schnell und schrecklich groß leidend. Nach dieser, in einem anderen Land in Krefeld starb auch ihre Mutter, auch groß leidend. Nach dieser hörte auch die kleine Sara auf zu leben im Frieden, an großem Ausschlag und Geschwulst, weil sie überall geschwollen war."

Die Mitarbeiter von Hagenbeck hatten ausserdem versäumt die Inuit gegen Pocken zu impfen. Als eine Pockenepidemie ausbrach, starben alle Inuit, fünf von ihnen erst in Paris in Januar 1881.

Das Werk welches diese tragische Reise und die beschämenden Umstände des Völkerschauen schildert, wurde zuerst in Kanada veröffentlich. Dazu nochmals Prof. Hartmut Lutz:

"Mein Interesse an der ganzen Sache war primär, diesen Text zu übersetzen und heutigen Inuit zugänglich zu machen".

Die deutsche Ausgabe dieses Dokumentes wird als Abschlußarbeit einer der Studentinnen von Lutz erscheinen.

Aha Völkerschauen heißt also einen Gegenstand/Souvenier mit nach nach hause bringen!den freiwillig wieder nach Hause fahren durfte da ja keiner.Den sonst hätte man ja finanzielle Einbusen hinnehmen müssen.das ist doch Rassismus total!
 
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