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... und führe uns nicht in Versuchung

Raphael

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Registriert
17. November 2007
Beiträge
1.795
Liebe Leute!

Die Tiefe des Vater Unser, des wichtigsten Gebetes der Christenheit, ist unbestritten.
Doch eine Zeile beschäftigt mich seit langem --- "und führe uns nicht in Versuchung".

Gott als Versucher?
Wenn Gott der Urgrund von allem ist, hat er ja auch die Versuchung geschaffen und schafft sie ständig neu.
So könnte man die Zeile deuten.
Irgendwie stört mich aber diese Vorstellung.

Ein Freund meinte zu dem Thema, dass ein Übersetzungsfehler vorliege, es solle nämlich heißen "und führe uns in der Versuchung".

Logischer wär´s, aber ist es wirklich so?!

Was meint ihr zu dem Satz?!

Ich danke euch im Voraus für eure Beiträge!

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
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AW: ... und führe uns nicht in Versuchung

Hallo Raphael!

Ich habe mir gerade mal den griechischen Text aus Mt 6 angesehen und kann keinen Übersetzungsfehler feststellen. Vielleicht könnte man noch an dem Substantiv für Versuchung (peirasmos) herumdeuteln. Aber ob das viel bringt?

Wäre der Gedanke der Versuchung Gottes wirklich so schlimm? Versuchung könnte man dann vielleicht als Probe verstehen. Ist nicht unser jetziges Leben sowieso ständig eine Probe?

Ich habe das Gefühl, dass ich täglich gegen gewisse Widrigkeiten ankämpfen muss. Ein tugendhaftes Leben bedeutet eben einen ständigen Kampf gegen Begierden verschiedenster Art. Da wir alle Fehler und Schwächen haben, erliegen wir auch diesen Anfechtungen gelegentlich.
 
AW: ... und führe uns nicht in Versuchung

Nun, es versucht eine Nichtgläubige etwas zu diesem Text bzw. seiner Unklarheit beizusteuern.

Dass sehr viele Übersetzungsfehler in den AT und auch im NT bestehen, weiß man inzwischen. Befasst hat sich intensiv mit diesen Ungereimtheiten Martin Buber, der große jüdische Religionsphilosoph. So zeigte er z.B. auch, dass "die zehn Gebote" eine falsche Übersetzung sind, die korrekte Übersetzung lautet "die zehn Worte" und sind weniger bindend als es Gebote wären.

Hier habe ich einen Text zur Frage der "...und führe uns nicht in Versuchung" gefunden, ich bin mir nicht sicher ob es auf Texten von Buber basiert, in der Bibliographie ist er unter anderen genannt.

Zitat:


Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen

Mit der Schlussbitte ist seit jeher die Frage verbunden, ob Gott den Menschen in Versuchung führen kann. Dieser im Alten Testament mehrmals anklingende Gedanke (vgl. Sam 24) wird im Jakobusbrief radikal abgelehnt: "Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt" (Jak 1, 13). Paulus betont 'Bisher hat euch nur menschliche Versuchung getroffen. Aber Gott ist treu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr‘s ertragen könnt.' (1. Kor 10, 13). Daher zielt die Bitte auf Stärkung in Situationen, die uns in Versuchung bringen.

Die Bitte nach Erlösung von dem Bösen hinterlässt Interpretationsspielräume. Hier geht es um die Frage, ob damit der Böse oder das Böse gemeint ist. Sowohl jüdische Parallelen als auch Zeugnisse des Neuen Testaments sind hier eindeutig: "Der Herr aber wird mich erlösen von allem Übel und mich retten in sein himmlisches Reich. Ihm sein Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen" (2. Tim 4, 18). So ist die Bitte nach der Erlösung "von dem Bösen" neutrisch zu verstehen.



Hier findest du den vollständigen Text, der von Dietmar Peter stammt:

http://www.rpi-loccum.de/petvat.html

Gruß von Miriam
 
AW: ... und führe uns nicht in Versuchung

Hallo miteinander!

Danke für eure Beiträge!

EuFrank: Verstehst du so gut Griechisch? Ich hab´s auch mal gelernt, lesen kann ich´s noch flüssig, aber viel mehr schon nicht.

Ja, die Versuchungen! Man ist ja eh standhaft, unterliegt nie, fast nie, na gut, eigentlich täglich...
Ich wollte zwar nicht, dass Gott mich versucht, da jedoch unter der Annahme der Allmacht Gottes alles in die Kompetenz des Chefs fällt, wird´s wohl so sein, dass, wenn Gott schon nicht selbst versucht, er doch Versuchung zulässt.

Was wiederum zum zweiten Beitrag führt.

Miriam: Danke für das Zitat, die Erklärung und die Links!

Der Jakobusbrief wirft aber die Frage bei mir auf.

An wen ist der Satz "und führe uns nicht in Versuchung" denn gerichtet?

An Gott, der nicht verführt;
an die eigenen Begierden (wohl kaum im Vater Unser!);
an den Teufel schon gar nicht.

Die Ausgangslage ist wiederhergestellt.
Ich kann den Sinn des Satzes noch immer nicht verstehen.

Ich bin dumm.

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
AW: ... und führe uns nicht in Versuchung

Hallo Raphael!

...
EuFrank: Verstehst du so gut Griechisch? Ich hab´s auch mal gelernt, lesen kann ich´s noch flüssig, aber viel mehr schon nicht...
Ich habe mal früher mein Graecum gemacht. Das ist in Deutschland eine Ergänzungsprüfung zum Abitur (wie auch das Latinum). Dafür gibts sogar einen eigenen Stempel auf das AbiturZeugnis :).

Ich habe eine InterlinearÜbersetzung benutzt: also deutscher Text unter dem griechischem Original. Das neutestamentliche Griechisch ist ein sehr einfaches. Daher kam mir die Übersetzung auf den ersten Blick sehr plausibel vor.

...An wen ist der Satz "und führe uns nicht in Versuchung" denn gerichtet?
...
Ich glaube schon, dass Gott gemeint ist. Der FrühChrist möchte seine Fehlerhaftigkeit überwinden und so sein, wie Gott ihn will. Versuchungen würden ihn von diesem Ziel abhalten. So sehe ich das.
 
AW: ... und führe uns nicht in Versuchung

Hallo EuFrank!

Der frühe Christ erfuhr, was Zeitzeugen ihm erzählten.
Paulus ist nicht Augenzeuge.
Was Paulus aber in dem von Miriam zierten Brief schreibt, leuchtet mir ein --- und ich bin nicht sein bedingungsloser Freund.

Über Versuchungen:

Die Chlysty waren eine religiöse Bewegung im Russland des 19./20. Jhdts., ihr bekanntester Vertreter Rasputin.
Ihre Idee: Nur durch die Sünde kommt man zur Reinheit.

Was in Konsequenz heißt, man gibt der Versuchung nach und gelangt über die Erfahrung der Sünde zur Reinheit.
Wenn irgendwann kein Wunsch nach Sünde mehr vorhanden ist,
dann ist man rein.

Hm! Seltsam! Passt aber irgendwie zum Silvester, wo ja auch manche Orgie gefeiert wird.

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
AW: ... und führe uns nicht in Versuchung

Hallo Raphael!

... Nur durch die Sünde kommt man zur Reinheit.

Was in Konsequenz heißt, man gibt der Versuchung nach und gelangt über die Erfahrung der Sünde zur Reinheit.
Wenn irgendwann kein Wunsch nach Sünde mehr vorhanden ist,
dann ist man rein.
...
Vorsicht! Das hört sich aber sehr gefährlich an! Damit könnte man jede Untat zu entschuldigen versuchen.

Ich halte davon absolut nichts!!! Man muss Handlungen meiden, von denen man das Gefühl hat, dass man sie nicht tun soll! Den von Dir zitierten Spruch kann ich überhaupt nicht akzeptieren.

Man kann wohl aus Fehlern lernen, man sollte sie aber nicht bewußt und mit Absicht machen.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: ... und führe uns nicht in Versuchung

Hallo!

Zuerst einmal: Ein glückliches 2008!

Ich bin da großteils deiner Meinung, was die Chlysty betrifft! Aber das ist ein Nebenschauplatz und betrifft meine Ursprungsfrage nur am Rande.

Was die Textzeile mit der Versuchung anlangt, weißt du offensichtlich auch nicht weiter.

Meine Überlegung:

Wenn Gott laut Paulus nicht der Versucher ist, weshalb soll er dann einen in Versuchung (oder auch nicht) führen?
Dann ist die Zeile sinnlos.

Wenn jedoch Gott verführt, dann ist die Zeile auch bedenklich, denn dann wünsche ich durch eben jene Worte den göttlichen Willen zu beeinflussen.
Was aber unter der Annahme der Allwissenheit und Allmacht des Höchsten Nonsens sein muss, denn Gott weiß am besten, was gut für den Menschen ist, weshalb sollte ich ihn da mit einem Gebetchen zu biegen versuchen?!

Oder?!

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
AW: ... und führe uns nicht in Versuchung

Lieber Raphael!
Das Vater unser ist das einzigen Gebet, das ich mit meinen katholischen Freunden noch mitspreche, wenn ich in eine gemeinsame religiöse Feier reingerate, wie z.B. eine Hochzeit oder eine Taufe, oder ein Begräbnis.

Alle anderen Gebete drücken Glaubensinhalte aus, bei denen sich mir die Haare aufstellen.

Ich kann dir nur sagen, wie ich diese Zeile mit der Versuchung empfinde, ohne das irgendwie belegen zu können. Gott ist alles, das Eine, in unserer Wahrnehmung also das Gute genauso wie das Böse, weil die sich gegenseitig brauchen um wahrgenommen zu werden. Wir Menschen müssen uns aber täglich entscheiden, welchen Weg wir gehen. Für uns gibt es gut und böse.

Wir bitten nun, wenn wir an einen gnädigen Gott glauben, darum, dass uns die Entscheidung für das Richtige gelingen möge. Das wär halt leichter, wenn Gott das, was uns in Versuchung führt, gar nicht erst da sein ließe. Es geht also nicht darum, Gott zu beeinflussen, sondern den (kindlichen) Wunsch an ihn heranzutragen, quasi die (Natur-)Gesetze außer Kraft zu setzen. Wie ein Kind, das seinen Vater bittet, Gnade vor Recht walten zu lassen. Es ist ja auch das Gebet, das an einen Gott gerichtet ist, der als Vater bezeichnet wird.

Vielleicht hab ich diese Sichtweise deswegen, weil ich als Kind einen sehr autoritären, aber auch streng katholischen Vater erlebt habe. Da hat mich das "Vater unser" immer sehr beruhigt, denn alles andere, was mein Vater und auch die katholische Kirche zu bieten hatten, war bedrohlich und machte Angst.

Ich wünsch dir ein gutes Neues Jahr!
:blume1:
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
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AW: ... und führe uns nicht in Versuchung

Hallo Raphael!

Hallo!

Zuerst einmal: Ein glückliches 2008!...
Das wünsche ich Dir auch!

...Wenn jedoch Gott verführt, dann ist die Zeile auch bedenklich, denn dann wünsche ich durch eben jene Worte den göttlichen Willen zu beeinflussen.
Was aber unter der Annahme der Allwissenheit und Allmacht des Höchsten Nonsens sein muss, denn Gott weiß am besten, was gut für den Menschen ist, weshalb sollte ich ihn da mit einem Gebetchen zu biegen versuchen?!

...
Gott durch Gebete beeinflussen zu wollen, scheint auch mir keine sittlich gute Haltung zu sein. Ich würde die Zeile "Führe uns nicht in Versuchung" in folgendem Sinne übersetzen:

Lass mich ein Mensch werden, der Dir und Deinen Geboten entspricht und sicher Deinen Willen tut. Ich möchte nicht weiter in einem Zustand der Gottesferne mit Schuld und Versuchung leben. Ich möchte lieber so sein, wie Du mich willst.
 
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