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-Super short stories- Folge 6

fuel.

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23. Mai 2005
Beiträge
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-Super short stories-
Folge 6

-Gewidmet denen, welche die Leere des Schönen sahen und die Unterschrift derer ohne Intention.-


Tina, Melanie oder irgend ein Ding...

Es war eine Frau, jung, knospend und verspielt. Sie hatte ein Faible für Blumenkleider und die Eigenart, Sachlichkeit in emotionalen Themen zu finden. Sie fand sie nicht nur, sondern sezierte sie regelrecht. Sie fegte jegliche Emotion wie einen Stoß Papier vom Tisch, legte Interpretation zur Seite und schien bar jeder Empfindung. Wenn sie etwas nicht verstand, war ihre Reaktion nicht Ignoranz oder Hohn. Sie reagierte mit einer Offenheit die mir den Magen umdrehte und mich gleichzeitig dazu brachte, sie in meine Arme schließen zu wollen. In diesem Moment verliebte ich mich in sie. Ich spürte eine Hingebung weitab von körperlicher Nähe oder Trieb. Sicher sah sie gut aus, denn alle mochten sie. Doch heute weiß ich nicht einmal mehr wie sie wohl damals ausgesehen haben mag. Ich errinnere mich lediglich an ihre Worte. Präzise, messerscharf und in einer Offenheit die mich erbeben ließ. Ich wollte sie nehmen, forttragen und Gott danken für diese Offenbarung.

Als ich sie das erstemal sah, war mein Eindruck distanziert und verächtlich. Sie wirkte wie eine Karikatur eines Menschen und perfekt in vieler Hinsicht. Schicke Kleider, helle Zähne, makelloser Teint und eine moderne Frisur umrahmt von einem Gesicht aus dezenter Bräune. Durchtrainierter Körper mit enganliegendem Top und sexy Schuhen. Ich weiß noch, wie ich mich bei dem Gedanken ertappte ihre Schuhe als das Beste an ihr zu sehen.
Und ihr Gesicht errinnerte mich an einen Totenschädel. Ihre Wangenknochen waren ausgeprägt, schmale Lippen und ihre Mundwinkel waren wie einzementiert. Es war der Ausbund an emotionaler Distanz von allem. Hohl, farblos und uninterressant. Ich hatte regelrecht Angst davor, mit diesem vollendeten Werbeclip in Kontakt treten zu müssen. Würde ich meine Verachtung zurückhalten können? Sie war eine Schimäre eines Menschen, blank und ohne Makel. Abgesehen von der endlosen Befriedigung gesellschaftlicher Wunschvorstellungen, die wie Trophäen auf ihr glitzerten.

„Ich bin Tina“. So stellte sie sich mir vor.
„Stas“.
„Oh, das ist ein seltsamer Name. Ist das polnisch?“
„Das steht für für Stanislav und ist nebenbei bemerkt russisch, du blödes Stück“, dachte ich. Obwohl ich keinerlei Lust verspürte, Form zu wahren und dieser Frau Respekt entgegenzubringen, blieb ich höflich:
„Steht für Stanislav, aber Stas ist schon okay“
„Also ein jüdischer Name? Ich habe ein paar Bekannte aus den Vereinigten Staaten.“ erwiderte sie. „Na klasse, nicht nur ungebildet, sondern auch noch mit jeder Menge sozialer Kontakte“. Ich hoffte, dieses Meeting würde schnell vorbei sein und eine Tina, oder Melanie? würde sich ebenso schnell verflüchtigen wie der saure Druck in meiner Speiseröhre.
Wir betraten den Präsentationsraum,die Luft war bereits abgestanden und schlug mir wie ein erstickendes Vakuum ins Gesicht. Ich räusperte mich und bot Tina mit einer Geste an, doch bitte Platz zu nehmen. Sie schlängelte sich mit einer überraschend femininen Geste an mir vorbei. Mir fiel ihr ihr seltsamer Gang auf. Er passte nicht so ganz zu dem Eindruck einer gestelzten, hölzernen Persönlichkeit, den ich von ihr hatte. Als wir uns alle setzten, begann der Geschäftsführer unserer Werbefirma das Meeting: „Etwas zu trinken? Ein Wasser vielleicht oder einen Espresso?“
Sie blieb regungslos, schaute ins Leere und ich befürchtete schon, sie würde in in Substanzlosigkeit zusammenfallen. Die Frage war nicht ohne.
Entgegen meiner Vermutung schaute sie ihn mit leerem Blick an. Wie metallene Kugeln in einem Plastikkäfig, bar jeglicher Emotion, richtete sich ihr Blick auf ihn.
„Nein, danke“, dann wendete sie sich in meine Richtung, schaute über mich hinweg auf das Bild an der Wand hinter mir. Hätte sie mich angeblickt, wäre es wohl dasselbe gewesen. Der Blick eines seelenlosen Roboters in einer Runde von Merketingstrategen und Werbefachleuten. In Gedanken suchte ich unter der Tischkante nach einer Kotztüte.
„Also wir haben da mal was vorbereitet!“ brach unser Geschäftsführer mit leicht verkrampftem Oberkörper hervor. „Das alles ist noch die Rohfassung, aber deshalb sind wie ja hier oder? Ahähä!“
Ich spürte die harte Sitzfläche des Lederstuhls auf dem ich saß. Unangenehm warm und klebend und einen Moment überlegte ich, wieviele Menschen wohl schon darauf gesessen hatten. Ich rutschte etwas herum und in diesem Moment wendete sie ihren Blick direkt auf mich zu. Ihre blassen, substanzlosen Augen stachen so bemerkenswert unaufdringlich aus ihrem gebräuntem Gesicht heraus wie verlöschte Fackeln aus einem gefrorenen Teich . Ich erwiderte den Blick und als ich ich mich abwenden wollte, konnte ich es nicht.
Ich sah die Leere. Rein und klar, wie jede Emotion von ihr apprallte. Ich wollte etwas sagen, ohne zu wissen was. Mein Unterkiefer bewegte sich in Zeitlupe herunter und ihre Augen schienen durch mich hindurchzusehen. Sie schaute nicht länger auf das Bild hinter mir, sondern direkt durch mich hindurch. Ihr Blick drang durch mein Gesicht und schien von meinem Hinterkopf reflektiert zu werden. Einem Spiegelkäfig gleich, schien ihr Blick in meinem Kopf hin- und hergeworfen zu werden. Ich verstand zum erstenmal in meinem Leben, wie ein Blick fesseln kann. Ich glotzte sie an wie ein erwürgtes Reh und bildete mir auch noch ein, sie würde mich in einer Art sehen können, wie mich niemand sonst sehen könnte. Aber plötzlich war der Raum leer, Schwärze um uns herum. Sie saß einer angenagelten Holzfigur gleich, mir gegenüber. Wenn man lang genug auf eine schwaches Licht in einem dunklen Raum starrte, dann veschwindet die Umgebung, fällt in Schwärze und der Focus ist das Einzige was man sehen kann. Ich wußte nicht wo sich meine Arme oder meine Beine befanden. Normalerweise habe ich immer das Wissen um meine körperliche Präsenz. Wie ich stehe, gehe, oder sitze. Es war mir nicht länger gegenwärtig und ich spürte eine Ruhe wie nie zuvor. Nichts um mich herum würde wichtig sein. Der Tisch könnte sich in einen Schwarm bunter Fische verwandeln, die Wände in riesige, eiserne Kanonen, die auf meinen Kopf zielten. Ich würde sie nicht sehen können, denn mein Blick war auf das Ding vor mir gerichtet, wie der Blick auf ein kaum wahrnehmbares Licht in der Dunkelheit.
Das war Tina und so lernten wir uns kennen. Heute leben wir bereits seit fünf Jahren zusammen. Wir waren glücklich, traurig und leer. Aber wir waren zusammen leer. Mein Job in der Werbebranche habe noch immer und sehe tagein, tagaus in leere Gesichter, wie sie versuchen Menschlichkeit vorzutäuschen. Dabei mit einzementierten Kiefern gegen Klippen schlagen und wie Glas brechen. Wie sie in einer Wolke aus gläsernem Stücken in den Abgrund fallen und Piruetten drehend im Dunkeln verschwinden. Sie branden gegen Tina wie goldenene Kugeln gegen eine Wand aus grauem Schiefer. Sie schluckt jeden Funken schillernder Täuschung und verwandelt es in pure Präsenz. Sie ist jemand, der es schafft eine halbstündige Rede, bestehend aus den Perlen rhetorischer Kunststücke mit nur einem Satz in ein geschrumpftes Nichts zu führen. Weil sie nichts ist. Vielleicht bin ich es auch.
Nie wieder ergriff mich die Leere wie damals, als sie mich auf den Rücken warf und mir das Gefühl gab, zuhause zu sein. Tina leitet mittlerweile ihre eigene Firma und wird von ihren Angestellten als der ‚leblose Hai’ angesehen. Sie beißt ohne Emotion. Dafür liebe ich sie.

Fünf Jahre später:
Die Tür öffnete sich und ließ Luft in den Raum. Den Raum, den ich vor kurzem noch geteilt hatte mit einer Werbepuppe von der Firma ‚Tremor’. Oder war es ‚Movin’ Pictures’? Verdammt, von welcher Firma kam sie noch mal! ‚BrightImages’, ja das war’s: Tina P. Von ‚BrightImages’. Nein, BrightImages` war pleite, wurde aufgekauft von Sony. Oder Samsung. Von einem Praktikanten aus Sonys Geflecht von Tochterfirmen hatte ich doch kürzlich eine mail bekommen, das inländische Werbeprojekte ausgelagert werden auf externe Dienstleister. Samsung hatte sich eingekauft bei einem langjährigen Konkurrenten aus Deutschland und Sony hatte irgendwie reagiert. Von diesen ‚Movements’ hatte ich keine Ahnung. Aber wie war der Name? Tina. Tina von `Frame Range’ Tina P. von BluSky`? Verdammt sie war unsere Kundin, ich sollte es wissen. `BluSky hatte diesen abgefahrenen Spot mit mit den leeren Wasserbassins produziert. Sie war zuständig für Kundenkontakte und direkter Ansprechpartner für alle Fragen bezüglich der CI. Tina P. von `BluSky``. Jepp.

Es war nicht Tina und es wird sie nie wieder sein.
Heute schäme ich mich für diese Gedanken.

fuel.
 
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Die Tatsache, daß vierzig Leute diesen Text lasen und nichts dazu zu sagen haben, heisst wohl daß die anderen Vierhunderttausend schier geblendet waren von seiner Genialität?! Als ob ich das Ganze einfach so machte, ignorantes Pack! (Mit Verlaub) Ich les' auch schrottiges Zeug, aber ich sage wenigstens manchmal was dazu.
Ja, nee, jetzt ist auch zu spät. Aber beim nächsten Mal möchte ich Reaktionen hier!

fuel.
 
Zuletzt bearbeitet:
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Ich habe meinen Text erneut gelesen und musste feststellen, daß selbst mir kein nennenswerter Kommentar dazu einfiele.
Ich bitte allseits um Entschuldigung für die etwas direkte Ausdrucksweise.

fuel.
 
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