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-Super short stories- Folge 6 einhalb

fuel.

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23. Mai 2005
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Rasensprenger

Gulf ging auf dem Rasen seiner ehemaligen Schule entlang. Mit leichtem Schritt erdrückte er die Halme, während er ging. Er ging mal hier entlang, mal da entlang. Es war ein schöner Tag, die Vögel summten und die Bienen brummten, die Rasensprenger waren angeschaltet und untermalten den frischen Morgen mit ihrem rhythmischen Gezirpe. Seit er hier Schüler war, waren sieben Jahre vergangen. Die Jahre waren an ihm nicht ohne Spur vorübergegangen, seinen Oberarm schmückten einige Tattoos, seine Kniescheibe war mit Metall gestärkt und sein Lächeln drückte die warme Melancholie eines frühen Sommermorgens aus, dessen Ende niemals kommen würde. Der Himmel war klar und weit und Gulf konnte bis zu der weit entfernten Fabrik sehen, die zu seiner Schulzeit ein interressanter Ort für zwölf- oder dreizehnjährige war. Es war ein Backsteingebäude, das schon zu Gulfs Schulzeit stillgelegt war und dessen staubige Räume Abenteuer für die Schüler bot. Heute lag kein Dunstschleier über dem Horizont und die Fenster der einstigen Metallfabrik waren gut erkennbar. Gulf wollte sich auf den heißen Rasen niederlassen. Er beugte sich langsam nach unten, tastend nach der Temperatur des sonnenbeschienenen Grüns. Als die frisch geschnittenen Halme scheinbar seine Arme kitzelten, entspannte sich sein Gesicht für einen Moment. „Es würde wie damals sein“, dachte er sich und wusste sogleich, daß es niemals wieder so sein würde. Die Rasensprenger klickten im Hintergrund und im feinen Nebel des Wassers erzeugte das Licht der aufgehenden Sonne kleine Regenbogen. Ein kühler, feuchter Nebel traf sein Gesicht.
Er kreuzte seine Beine auf umständliche Weise und ließ sich nieder auf dem feuchten Rasen. Sein Blick schweifte kurz nocheinmal in die Richtung der alten Fabrik. Dann war sein Blick nur noch einen Meter über dem Rasen. Er saß wie ein Buddha und starrte geradeaus, mal nach rechts für eine Weile, dort wo der der öffentliche Park anfing, dann nach links wo eine Ziegelmauer, hundert Meter entfernt die westliche Grenze des Schulgeländes ausmachte. Als er wieder geradeaus sah, musste er blinzeln, weil der feuchte Rasen das Sonnenlicht reflektierte. In der Ferne verschwammen die Gebäude mit dem Horizont. Er schmeckte die bittere Note von Ozon auf der Zunge,die Sonne brannte auf ihn und die riesige freie Fläche links und rechts neben ihm. Der Rasen wurde Samstag nachmittag gemäht, aber er roch noch immer danach. Ein säuerlicher Duft von fabrikneuen Kopiergeräten mit dem drückenden Duft von dichten Laubhaufen, die von der Sonne erwärmt wurden.

Von weitem betrachtet würde er ein lustiges Bild abgeben. Ein Mann sitzend im Rasen auf einem Schulgelände an einem Sonntagmorgen. Aber das war der einzige Zeitpunkt, an dem er sich hier ungestört frei bewegen konnte. Keine Kinder, die ihn schief anblickten, keine Pausenaufseher, die ihn für einen Kinderschänder halten würden, bis sie ihn von nahem sahen.

Er blickte über die dichte Rasenfläche auf das weit entfernte Tennisgelände und den Golfplatz daneben. Ein gleichmässiges Pulsieren, daß von der Höhe des Rasens bis zur Höhe der gekrümmten Pinienbäume reichte, war in der Ferne auszumachen. Dort standen wohl auch Rasensprenger, denn gestern war ein heißer Tag gewesen.
Gulf blickte nach unten, auf die Grashalme vor ihm. Sie waren kurz geschnitten, gleichmässig wie damals auch. Zwischen ihnen war kaum Platz für Erde und er wollte mit ausgestreckter Hand auf der Oberfläche der spitzen Grashalme entlangstreichen. Im letzten Moment hielt er inne und errinnerte sich daran, wie es damals war. Wie sich die starren, kräftigen Halme wehrten, gegen den Druck seiner gespreizten Hände und die Wassertropfen seine Handflächen benetzten.
Wie er den Kopf erhob, in die Ferne blinzelte und dort das verschwommene Bild von Wasserfontänen beobachtete, die in ihrem Rhythmus den Rasen wässerten. In einem fast therapeutischen Gleichklang jedes Gemüt beruhigen konnten,das bereit war, sich im warmen, feuchten Rasen niederzulassen und in die Ferne zu starren.
Früher fokusssierte er gerne den Blick auf einen der Rasensprenger in weiter Ferne und liess das Gesichtsfeld darum ausblenden, bis es für einen kurzen Moment in Schwärze versank um in einem hellen Blitz wieder in sein Bewusstsein zu treten, weil er die Augen bewegte.
Er errinnerte sich an das Gefühl, wie seine Extremitäten jedes Gefühl verloren, das Blut sich in seinem Kopf sammelte und das Klicken der Sprenger von der Innenseite seiner Stirn reflektiert, in seinem Kopf wiederhallte.
Als feuchte Dunstschleier über den Rasen zogen, seine Arme und Beine berührten und warmes Sonnenlicht seine Haut erwärmte.

Er legte den Kopf in den Nacken. Das Sonnenlicht glitt über sein Gesicht wie jedesmal und ein wohliger Schauer kroch über seinen Rücken. Er lauschte auf das rhythmische Klicken der Rasensprenger im Hintergrund.
Er ließ sich rückwärts auf den Rasen gleiten und schloß die Augen. Als ihn die Halme an den Stümpfen seiner Oberarme kitzelten, wollte er seine Augen wieder öffnen, doch er konnte es nicht. Es würde wie damals sein.

fuel.
 
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