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Lieblingsgedichtssammlung

AW: Lieblingsgedichtssammlung

Hallo Literaturfreunde,

ich mag Gedichte von Erich Kästner, wie z. B. dieses hier:

Die Entwicklung der Menschheit

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telephon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrig läßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.

Aus: "Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume", Karl-Heinz Raach, Herder-Verlag.

Grüße von FirstDay.
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AW: Lieblingsgedichtssammlung

Liebe Literaturfreunde,

passend zum Wetter, aus meiner Gedichtesammlung:

Nächtlicher Regen

Fällt bei Nacht in meinem Garten
ein gar sanfter, warmer Regen,
muß ich wachend liegen, warten,
sonst gereicht er nicht zum Segen.

Auf das Tropfen muß ich lauschen,
wenn er in die Blätterkronen
sich ergießt, und auf das Rauschen
dort im dichten Laub der Bohnen.

Hier ein Gleiten, dort ein Fließen,
einmal sanft und einmal härter,
ob mit Tropfen, ob mit Gießen,
stets ist er ein guter Wärter.

Überall weiß er zu richten,
hier ein wenig lind zu kosen,
dort ein bißchen zu gewichten
gegen allzu stolze Rosen.

Und auch meinem wilden Herzen
tut er wohl, bei Nacht der Regen,
zügelt Träume, lindert Schmerzen
und gereicht mir so zum Segen.

Helga Rehbehn, (aus: "Leben, Liebe, Rosenlieder", VfA)


Grüße von FirstDay.
 
AW: Lieblingsgedichtssammlung

nach all dem schoenen, ein kontrapunkt.



Eine literarische Diskussion

Markov behauptet, ich wolle
ihm die Seele knicken. Aber
seine Frau wäre mir lieber.

Ich legte meine Füße auf
seinen Kaffeetisch,
und er sagt: Im Prinzip
hab ich nichts dagegen,
wenn du die Füße
auf den Tisch legst,
aber der hier hat
wackelige Beine
und kann jeden Augenblick
aus dem Leim gehen.

Ich lasse die Füße
auf dem Tsich. Aber
seine Frau wäre mir lieber.

Ich würde mich lieber,
sagt Markov,
mit einem Straßenbau-
arbeiter unterhalten
oder mit einem Zeitungsmann. Die sind
wenigstens so nett
und halten sich an die
Anstandsregeln,
auch wenn sie Rimbaud
nicht von Rattengift
unterscheiden können.

Meine leere Bierdose
rollt zu Boden.

Daß ich sterben muß,
macht mir nicht so viel
aus, sagt Markov.
Mein Part in deisem Spiel ist,
daß ich das beste machen muß
aus meinem Leben.

Ich packe seine Frau, die gerade
an mir vorbeikommt, und dann
drückt ihre Muschi gegen meinen Bauch,
und sie hat schöne Knie und Brüste,
und ich küsse sie.

Das Alter ist nicht so schlimm,
sagt er jetzt. Man wird ruhiger.
Das Problem ist nur; wie wird man
mit der Ruhe fertig, ohne innerlich
abzusterben. Man darf die Jugend
nicht als minderwertig ansehen,
nur weil man alt ist; und das Alter
soll man nicht mit Weisheit
gleichsetzen, nur weil man mehr
Erfahrung hat. Ein Mann kann
jung sein und weise - das sind
die wenigsten. Ein....

Menschenskind! heulte ich,
hör auf!

Er stand auf, griff sich
seinen Spazierstock und
ging raus.

Du hast ihm weg getan, sagte sie.
Er hält dich für einen großen Dichter.

Er ist mir zu glatt, sagte ich.
Er weiß zuviel.

Mittlerweile hatte ich
ihre eine Brust heraus.

Es war ein monströses
herrliches
Ding.


Charles Bukowski (Western Avenue, Gedichte 1955 - 1977)
 
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Dämmrung senkte sich von oben

Dämmrung senkte sich von oben,
Schon ist alle Nähe fern;
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der Abendstern!

Alles schwankt ins Ungewisse,
Nebel schleichen in die Höh;
Schwarzvertiefte Finsternisse
Widerspiegelnd ruht der See.
Nun im östlichen Bereiche
Ahnd ich Mondenglanz und -glut,
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Flut.
Durch bewegter Schatten Spiele
Zittert Lunas Zauberschein
Und durchs Auge schleicht die Kühle
Sänftigend ins Herz hinein.

Johann Wolfgang von Goethe 1827

Andenken

Der Nordost wehet,
Der liebste unter den Winden
Mir, weil er feurigen Geist
Und gute Fahrt verheißet den Schiffern.
Geh aber nun und grüße
Die schöne Garonne,
Und die Gärten von Bordeaux
Dort, wo am scharfen Ufer
Hingehet der Steg und in den Strom
Tief fällt der Bach, darüber aber
Hinschauet ein edel Paar
Von Eichen und Silberpappeln;

Noch denket das mir wohl und wie
Die breiten Gipfel neiget
Der Ulmwald, über die Mühl',
Im Hofe aber wächset ein Feigenbaum
An Feiertagen gehen
Die braunen Frauen daselbst
Auf seidnen Boden,
Zur Märzenzeit,
Wenn gleich ist Nacht und Tag,
Und über langsamen Stegen,
Von goldenen Träumen schwer,
Einwiegende Lüfte ziehen.

Es reiche aber,
Des dunkeln Lichtes voll,
Mir einer den duftenden Becher,
Damit ich ruhen möge; denn süß
Wär' unter Schatten der Schlummer
Nicht ist es gut,
Seellos von sterblichen
Gedanken zu sein. Doch gut
Ist ein Gespräch und zu sagen
Des Herzens Meinung, zu hören viel
Von Tagen der Lieb',
Und Taten, welche geschehen.

Wo aber sind die Freunde? Bellarmin
Mit dem Gefährten? Mancher
Trägt Scheue, an die Quelle zu gehen;
Es beginnet nämlich der Reichtum
Im Meere. Sie,
Wie Maler, bringen zusammen
Das Schöne der Erd' und verschmähn
den geflügelten Krieg nicht, und
Zu wohnen einsam, jahrlang, unter
Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht durchglänzen
Die Feiertage der Stadt,
Und Saitenspiel und eingeborener Tanz nicht.

Nun aber sind zu Indiern
Die Männer gegangen,
Dort an der luftigen Spitz'
An Traubenbergen, wo herab
Die Dordogne kommt
Und zusammen mit der prächt'gen
Garonne meerbreit
Ausgehet der Strom. Es nehmet aber
Und gibt Gedächtnis die See,
Und die Lieb' auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibt aber, stiften die Dichter.

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Das Angenehme dieser Welt

Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen,
Die Jugendstunden sind, wie lang ! wie lang ! verflossen,
April und Mai und Julius sind ferne,
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne !

Friedrich Hölderlin
 
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Kasper Hauser Lied Für Bessie Loos

Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg,
Die Wege des Walds, den singenden Schwarzvogel
Und die Freude des Grüns.

Ernsthaft war sein Wohnen im Schatten des Baums
Und rein sein Antlitz.
Gott sprach eine sanfte Flamme zu seinem Herzen:
O Mensch!

Stille fand sein Schritt die Stadt am Abend;
Die dunkle Klage seines Munds:
Ich will ein Reiter werden.

Ihm aber folgte Busch und Tier,
Haus und Dämmergarten weißer Menschen
Und sein Mörder suchte nach ihm.

Frühling und Sommer und schön der Herbst
Des Gerechten, sein leiser Schritt
An den dunklen Zimmern Träumender hin.
Nachts blieb er mit seinem Stern allein;

Sah, daß Schnee fiel in kahles Gezweig
Und im dämmernden Hausflur den Schatten des Mörders.

Silbern sank des Ungebornen Haupt hin.


Georg Trakl (1887-1914)
 
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Grauer Wintertag
(1947)

Es ist ein grauer Wintertag,
Still und fast ohne Licht,
Ein mürrischer Alter, der nicht mag,
Daß man noch mit ihm spricht.

Er hört den Fluß, den jungen, ziehn
Voll Drang und Leidenschaft;
Vorlaut und unnütz dünkt sie ihn,
Die ungeduldige Kraft.

Er kneift die Augen spöttisch ein
Und spart noch mehr am Licht,
Ganz sachte fängt er an zu schnei'n,
Zieht Schleier vors Gesicht.

Ihn stört in seinem Greisentraum
Der Möwen grell Geschrei,
Im kahlen Ebereschenbaum
Der Amseln Zänkerei.

All das Getue lächert ihn
Mit seiner Wichtigkeit;
Er schneielet so vor sich hin
Bis in die Dunkelheit.

Aus: Hermann Hesse, "Die Gedichte", Zweiter Band, Suhrkamp-Taschenbuch 381​
 
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Gleichnis

Es ist ein Brunnen,
Der heißt Leid;
Draus fließt die
Lautre Seligkeit.
Doch wer nur
In den Brunnen schaut,
Den graut.
Er sieht im tiefen
Wasserschacht
Sein lichtes Bild
Umrahmt von Nacht.
O trinke! da zerrinnt
Dein Bild:
Licht quillt.

Richard_Dehmel
 
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Ich bin grade dabei schöne Gedichte zu sammeln und möchte mal erfragen, welche ihr so wirklich mögt, welche euch beim Lesen einfach (entweder vom Inhalt, von der Lyrik, oder beidem) vom Hocker hauen.

Ich weiß nicht, ob dir dieser Hinweis hilfreich ist. Es gibt schon reichlich Gedichtssammlungen.

Drei finde ich sehr gelungen. Alle drei sind von Steffen Jacobs herausgegeben.

- Die liebenden Deutschen, 645 entflammte Gedichte aus 400 Jahren,
- Die komischen Deutschen, 878 gewitzte Gedichte aus 400 Jahren,
- Liederlich! Die lüsterne Lyrik der Deutschen.


Und dann natürlich:

Der Neue Conrady: Das große deutsche Gedichtbuch. Von den Anfängen bis zur Gegenwart von Karl Otto Conrady.

Du kannst ja mal in einer Buchhandlung in diesen Bänden blättern.

Beste Grüße
Fritz
 
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"Ich."

Sklaverei ertrag' ich nicht
Ich bin immer ich
Will mich irgend etwas
beugen
Lieber breche ich.

Kommt des Schicksals Härte
oder Menschenmacht
Hier, so bin ich
und so bleib' ich
Und so bleib' ich
bis zur letzten Kraft.

Darum bin ich stets nur eines
Ich bin immer ich
Steige ich, so steig' ich hoch
Falle ich, so fall' ich ganz.

Ingeborg_Bachmann
 
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