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Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

Sunnyboy

New Member
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10. März 2005
Beiträge
542
Hallo an alle.

Die Forderung in der Überschrift geht mir aus zwei Gründen nur schwer über die Lippen.
Zum einen bin ich ein absoluter Liebhaber der englischen Sprache und Kultur (ja, auch wenn viele abstreiten, dass es in England so etwas wie Kultur heute noch gibt :) ), zum anderen stehe ich mit der lateinischen Sprache auf Kriegsfuss, seit ich mit fliegenden Bannern mein Latinum vergeigt habe.

Ihr seht, dass ich kein verstockter, im Altertum verhafteter Fundamental-Humanist bin, dem es darum geht, eine verstorbene Sprache aus purer Liebe wieder zu beleben.

Meine Idee, Englisch als Wissenschaftssprache durch Latein abzulösen, hat einen anderen Grund.

Ja, viele sind der Ansicht, dass Englisch perfekt geeignet ist, die internationale Wissenschaftssprache zu sein.

Da wäre zunächst die Tatsache, dass Englisch, im Gegensatz zu Latein eine "lebendige" Sprache ist, also eine Sprache, die sich parallel mit der Wissenschaft und der Gesellschaft im allgemeinen weiterentwickelt- eine Sprache, die "up to date" ist, sozusagen.

An diesem Argument ist grundsätzlich nichts auszusetzen- allerdings kann man fragen, ob eine Wissenschaftssprache denn zwangsweise eine "Up-to-date"-Sprache sein muss.
"Aber natürlich!", wird der Verteidiger der englischen Sprache sagen- "In eine lebende Sprache kann man doch viel besser neue Wörter aufnehmen als in eine tote."
Aber gerade das halte ich für einen Irrglauben. Denn jeder, der Latein kennt, kennt die schönen Wortkonstruktionen, die diese Sprache über die Jahrhunderte bereichert haben.
Außerdem- verhält es sich nicht genau andersherum? In einer lebendigen Sprache muss man sich an Sprachkonventionen halten- bestimmte Wörter sind mit bestimmten Bedeutungen, Interpretationen und Gefühlen belegt. Das Lateinische bietet einem mehr Freiheiten.
Und das Argument, nur eine moderne Sprache sei flexibel genug um die technische Entwicklung wiederzugeben, kann ich nicht nachvollziehen- wenn ein neuer Begriff erfunden werden muss, ist es egal, ob das auf Englisch oder Latein geschieht- das Handy (ohhh, GANZ böses Beispiel, weil kein englisches Wort), hätte genauso gut "Manus" heißen können. Die Tatsache, dass "Handy" überhaupt kein englisches Wort sondern eine Erfindung der deutschen Mobilfunkanbieter ist, unterstützt meine These.


Das zweite Argument ist das, dass Englisch leichter zu erlernen sei als Latein, mit seinen vielen Deklinationen, Konjugationen, AcIs und Abl.Abs'.

Das ist lediglich ein typisches Schülerargument- in Wahrheit ist es doch so, dass Latein zwar eine komplexere Grammatik hat, aber gerade diese Grammatik macht es doch erst möglich, diese Sprache vernünftig zu erlernen, da hinter ihr ein System steckt. Englisch, wenn man es richtig beherrschen will, erfordert im Endeffekt mehr Lernanstrengung, da es in dieser Sprache hunderte von Ausnahmen und Abweichungen gibt.

Das letzte wichtige Argument für Englisch ist das, dass Englisch ja weltweit gesprochen und verstanden wird- Latein dagegen nirgendwo.

Hinter diesem Argument steckt natürlich ein praktischer Gedanke- da Englisch, so sagt der Anglophile, von viel mehr Menschen verstanden wird als Latein, profitierten auch mehr Menschen vom Englischen.

Kann sein- aber leider nicht alle.
Und genau hieraus ergibt sich eine Ungerechtigkeit: Englische Muttersprachler sind in der Wissenschaft im Vorteil. Das mag für viele wie Gefühlsduselei erscheinen, doch daraus ergibt sich ein ernstliches Dilemma.

In der Wissenschaft entsteht somit nämlich eine Hegemonie der westlichen Welt, vor allem der englischsprachigen Länder- das mag in der Naturwissenschaft noch einigermaßen egal sein- obwohl gesagt werden muss, dass ein entwicklungstechnischer Nachteil für nicht-englischsprachige Länder entsteht.

Aber vor allem in den Geisteswissenschaften ist diese Tatsache gefährlich: Es ensteht eine Art geistiger Kolonialismus seitens der westlichen Welt- zusammen mit dem in der Politik immer mehr zunehmenden geradezu imperialistischen Gebarens der englischsprachigen USA und ihren anderen westlichen Verbündeten führt diese Tatsache zu geistiger Rückentwicklung, Frustration und Agression in anderen Kulturkreisen. Die arabische Welt ist das Paradebeispiel hierfür: Es ist deprimierend zu sehen, wie diese Region, einst eine Heimat der Wissenschaft und Kultur nun in genau diesen Bereichen auf internationaler wie auf interner Ebene den Halt zu verlieren droht. Ich habe die Zahlen gerade nicht parat, aber wenn man nachschaut, wieviele Bücher im Nahen Osten erscheinen und gedruckt werden, trifft man auf eine beängstigend niedrige Zahl.

Mit Latein als Wissenschaftssprache, davon bin ich überzeugt, könnte sich das ändern.

Zwar verbindet man Latein auch eher mit dem westlichen Kulturkreis, aber die tatsache ist: Latein ist eine tote Sprache. Es gibt keine Muttersprachler mehr. Auch die romanischen Sprachen sind nicht im Vorteil.

Latein als Wissenschaftssprache würde somit zu mehr Fairness in diesem Bereich führen- Latein müsste von allen gelernt werden- vom Geschichtsstudenten in Paris ebenso wie vom Geschichtsstudenten in Damaskus, vom Mathematiker in Bukarest ebenso wie vom Mathematiker in Rijad.

Das würde dazu führen, dass die Wissenschaftler verschiedener Kulturkreise wieder mehr zusammenarbeiten könnten, dass ferner mehr Wissenschaftler außerhalb der westlichen Welt ihren Weg auf das Parkett der internationalen Wissenschaft fänden. Die Welt würde wieder mehr zusammenrücken.

Auch internationale Konflikte würden, davon bin ich überzeugt, weniger werden, da alle Staaten von den wissenschaftlichen Erkenntnissen der anderen profitieren könnten und daher an einem besseren Verhältnis interessiert wären.

Englisch erzeugt dadurch, dass es eine lebendige Sprache ist, Parteilichkeit und ist somit als "Lingua Franca" weder im wissenschaftlichen, noch im kulturellen Bereich zu gebrauchen.

Salve,
Puer solis :)
 
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AW: Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

Das zweite Argument ist das, dass Englisch leichter zu erlernen sei als Latein, mit seinen vielen Deklinationen, Konjugationen, AcIs und Abl.Abs'.

Das ist lediglich ein typisches Schülerargument- in Wahrheit ist es doch so, dass Latein zwar eine komplexere Grammatik hat, aber gerade diese Grammatik macht es doch erst möglich, diese Sprache vernünftig zu erlernen, da hinter ihr ein System steckt. Englisch, wenn man es richtig beherrschen will, erfordert im Endeffekt mehr Lernanstrengung, da es in dieser Sprache hunderte von Ausnahmen und Abweichungen gibt.

Das halte ich für ein Gerücht das in der Praxis millionenfach widerlegt ist :)
 
AW: Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

hallo, sunnyboy!

also latein einfacher, na ja???

ich bringe mir gerade selbst italienisch bei, v.a. über die grammatik, aber da gibt es auch viele, viele ausnahmen (ähnlich wie bei französisch). deshalb glaube ich, das gibt es auch bei latein!

weiterhin sehe ich in deinem text, dass du eher eine allgemein verbindende sprache schaffen willst. es haben schon einige linguisten versucht, eine neue weltsprache zu schaffen. ist meiner meinung nach aber quatsch, da die kulturellen verhältnisse in der welt nun einmal zugunsten des angloamerikanischen raumes liegen. im nächsten jahrhundert vielleicht wird es im osten die chinesische sprache geben, die dort sich raum verschafft (zusammengeführt bzw. übernommen werden können weder das englische noch das chinesische wegen der entfernung der beiden sprachen (grammatisch, syntaktisch, äußerlich)).
 
AW: Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

im nächsten jahrhundert vielleicht wird es im osten die chinesische sprache geben, die dort sich raum verschafft (zusammengeführt bzw. übernommen werden können weder das englische noch das chinesische wegen der entfernung der beiden sprachen (grammatisch, syntaktisch, äußerlich)).

Hallo!

Schon ein interessanter Denkanstoß.
Das mit dem Chinesischen erinnert mich daran, dass natürlich auch Sprache das Denken prägt - und das Kommunizieren.
Die Chinesen haben den Buchdruck früher erfunden als Alt-Europa -und dann nicht weitergeführt. Überhaupt ist die asiatische Technologie dann ein wenig zurückgeblieben. Mit Vor- und Nachteilen.
Vielleicht ist Chinesisch aufgrund seiner speziellen Schriftsprache (Symbolschrift) gänzlich ungeeignet für Wissenschaftsdiskurs? Man denke nur, wie schwierig es ist, im Chinesischen Wärter zu ergänzen. (Etwa wie Motor zu Motorhaube usw.)
Das Englische ist vielleicht gerade, wiel es "einfach" ist geeignet, um Kompliziertes auszudrücken...?
Nur eine These. Linguisten vor!
 
AW: Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

hallo, robin!

Das Englische ist vielleicht gerade, wiel es "einfach" ist geeignet, um Kompliziertes auszudrücken...?

auch wenn ich kein linguist bin, kann ich dieser these nicht zustimmen. englisch wäre auch die wissenschaftssprache, wenn es komplizierter wäre (siehe latein)
da das englische empire ende 19. jh. bis mitte des 20. jh. und dann das amerikanische empire in der welt "ton"angebend war, stellte deren sprache auch eine sehr verbindliche sprache für die restliche welt dar. wir müssen dabei an den grund für sprache denken. der ist nicht ästhetisch zu suchen, sondern sprache entspringt der reinen notwendigkeit des menschen im laufe der evolution sich zu verständigen. wir bildeten sprache aus, um möglichst viele unserer mitmenschen zu verstehen (deshalb ist ja die sprachenvielfalt im mythologischen kontext eine strafe, z.b. turmbau zu babel!)
deshalb benutzen wir eine sprache, die die meisten sprechen. zuerst wird dies meist von händlern, politikern und intellektuellen getan. dann folgen breitere schichten. so hat es sich in zeiten der kontinentalen dominanz der franzosen vom absolutismus bis napoleon verhalten, so hat es sich zu römisch-germanischen zeiten verhalten, so verhält es sich heute!
 
AW: Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

Es ist keine Frage eines "entweder-oder". Die in der englischen Wissenschaftssprache gebräuchlichen Wörter gehen alle auf lateinische und griechische Wörter zurück; man kann dann nach den Bedeutungen der Wörter forschen, die sie damals hatten und an der antiken Denkweise, so sie sich in Wörtern ausdrückt und trotzdem eine Logik formuliert, sich erfreuen oder davon lernen.

Robin schrieb:
Zur Stelle. Entweder läßt man sich auf die schwierige Semiotik des 1914 verstorbenen Amerikaners C. S. Peirce ein, die sinnvolle Angebote auch zum Nachvollzug der Herkunft der Wörter und Begriffe bietet, oder man phantasiert frei vor sich hin und weiß nicht was man tut (indem man z.B. Etymologien oder Hermeneutiken vor sich hinbetet.)

Die weltweite Verbreitung des Englischen (als einer germanischen Sprache!) ist nicht mehr aufzuhalten, da diese Sprache in der Tat fähig ist, logische Sachverhalte in einer deutlich vom hinzufügenden Gedanken abgesetzten Weise darzustellen, ohne den Gedanken selbst umschreiben zu müssen. Deutsch vermischt. Und Latein suggeriert identitäre Zusammenhänge, die doch gerade aufgelöst werden sollen. Englisch kann die gewünschte Allgemeinverbindlichkeit leisten, aber nur unter Preisgabe der konnotativen Zusammenhänge, der "idioms", die diese Sprache einmal ausmachten. Ob es besser als das Französiche und Deutsche zur Darstellung der Logik der Differenz geeignet ist, wage ich zu bezweifeln; aber darum geht es ja nicht, wenn wir schon eine Sprache haben, die einfach sagen kann was ist.

Und darum geht es doch im Alltags-Wissenschafts-Englischen - Befunde über Umwelt so einfach wie möglich auszusagen?
 
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AW: Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

hallo, thorsten!

du meinst also, dass englisch nur deshalb im vormarsch ist bzw. war, weil es einfacher ausdrückt, was gemeint ist!?!
warum gab es dann lateinische sprache im mittelalter, die französische in der frühen neuzeit als wissenschaftssprache? warum galt lange, lange zeit, z.t. noch heute deutsch als wissenschaftssprache in dem bereich bergbau, mineralogie?
vielleicht weil die deutschen lange zeit eine sehr innovative rolle in diesem gebiet einnahmen?

du begründest also eher das vorherrschen der speziellen sprache als sprachimmanentes problem, während ich meine, dass es vom äußeren, sozial-politischen umfeld abhängt!
 
AW: Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

Weshalb muß eine Wissenschaftssprache "einfach zu lernen sein"?
Wer sie benötigt, wird wohl ausreichend intelligent sein, sie erlernen zu können.

Und weshalb darf die Wissenschaftssprache - Latein - keine "tote Sprache" sein?
Es geht hierbei ja im Wesentlichen um Dokumentation, nicht um Gespräch.
 
AW: Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

Weshalb muß eine Wissenschaftssprache "einfach zu lernen sein"?
Wer sie benötigt, wird wohl ausreichend intelligent sein, sie erlernen zu können.

Und weshalb darf die Wissenschaftssprache - Latein - keine "tote Sprache" sein?
Es geht hierbei ja im Wesentlichen um Dokumentation, nicht um Gespräch.

hallo, hanna!

warum nehmen wir denn nicht Althebräisch als Wissenschaftssprache?
 
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AW: Latein statt Englisch als Wissenschaftssprache

Natürlich geht es hier um Gespräch!
Mal ganz praktisch gedacht: Wollt ihr Entwicklungs- und Schwellenländer weiter zurückwerfen, indem ihr ihnen auch noch die Notwenigkeit von Lateinunterricht aufbürdet? Natürlich geht es darum, dass Englisch überall gesprochen wird, es geht ja um Austausch, Kommunikation.

Eine einfache Sprache eignet sich für komplizierte Inhalte, weil man mit Einfachem gut Komplexität aufbauen kann. Beispiel: Computer arbeiten mit dem binären statt mit dem Dezimalsystem. Oder ein HAus wird aus einfachen Formen (Ziegeln) gebaut, um daraus komplexe Formen zu entwickeln.

Ob das bei der "Wahl" des Englischen zur Wissenschaftssprache ein Selektionsgrund war, ist letztendlich Spekulation. Aber es gibt z.B. bei den asiatischen Sprachen Hemmnisse.
Könnte mir vorstellen, dass z.B. beim Ingenieursstudium in Asien nicht nur aus Gründen der Internationalität auf Englisch zurückgegriffen wird. Sondern weil man mit der Symbolsprache auf wissenschaftlicher Ebene einfach nichts vernünftig ausdrücken kann.
Daher würde ich meinen Hintern verwetten, dass Chinesisch Englisch in den nächsten 1000 Jahren nicht ablöst, selbst wenn bald 50% aller Menschen Chinesen sind...
 
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