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kathis novembergeschichte

danach blieb sie knappe 3 jahre allein im großen haus. mit hund versteht sich.
natürlich wolle sie bis an ihr lebensende dort bleiben, meinte sie. sie werde das schon schaffen. auch die täglichen spaziergänge mit dem hund. gehen konnte sie zwar damals schon nur mehr mit einer gehhilfe. und dabei konnte es auch vorkommen, dass sich die hektische hündin von ihr losriss und allein das weite suchte. auch schnappte sie gerne nach vorbeigehenden passanten. mutter konnte sie nicht davon abhalten und spielte die vorfälle im nachhinein herab. wenn sich diese blöden leute nicht so schnell an hexi vorbeibewegt hätten. da hat sie ja angst kriegen müssen. das muss man doch verstehen.
auf jeden fall waren die fußgänger selber schuld, wenn sie ein wenig ins wadel gebissen wurden.
anhängige gerichtsverfahren werde sie auch durchstehen.

jedes zureden, sie möge sich doch noch was anderes für ihren lebensabend überlegen, wurde schnell abgewachelt. nein! so lange es gehe, bleibt sie dort!
 
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es ging dann nicht ganz so lang.
eines nachts platzte ihr eine vene. weit und breit keine hilfe, das telefon im erdgeschoss, sie im 1. stock. das bein wollte nicht aufhören zu bluten. alles vollgespritzt. ein riesiger dreck und ein riesiger schock.

das war das AHA-erlebnis gewesen, das sie veranlasste auf kathrins vorschlag einzugehen.
man könne an kathrins haus ein kleines appartment anbauen. genau auf die bedürfnisse einer alleinstehenden frau zugeschnitten. altersgerecht, ohne stufen. mit familienanschluss.
sie müsse nur das haus verkaufen. und mit einem teil des geldes den neubau finanzieren. der rest werde auf die töchter aufgeteilt.
der bau dauerte dann noch 1 jahr. und dann war sie da.
und kathrin freute sich auf sie. wollte ihr einen schönen lebensabend bereiten.
wollte eine gute tochter sein.
wollte sich die lorbeeren für den himmel verdienen. wieder einmal.
 
wie damals nach ihrer ersten „sturm und drang“-zeit.
sie hatte ihr neues, wildes, frauliches leben ganz schön ausgekostet.
ihre eltern hatte sie vergessen. ihre schwester mehr oder weniger auch…die war nun voll und ganz von mutter vereinnahmt worden.
kathrin hatte zu malen begonnen, jobbte in einem selbst verwalteten jugend- und kulturhaus, hatte einen neuen bekannten- und freundeskreis, tourte mit einer kultigen jazz-klassik-band in wien-umgebung herum, sang und schauspielerte in politischen kleinkunst-kabaretts und arbeitete an einem alternativen filmprojekt mit.
ihr selbstwert war unermesslich gestiegen. sie fühlte sich stark. und cool (obwohl es diesen ausdruck damals noch nicht gab ;)).
dann hatte sie ihre erste große beziehung. mit einem typen, der so gar nicht in die bürgerliche normalität passte. sein geld verdiente er mit taxi-fahren. nebenbei zeichnete er comics, kannte jeden film der filmgeschichte von innen heraus, rauchte eine zigarette nach der anderen und hielt nichts von biederkeit.
dennoch wohnten die beiden zusammen in kathrins wohnung.
und sie fing an häuslich zu werden.
sie spürte in sich den wunsch nach trautsamkeit. ganz klein zuerst nur.
nur mal die eigenen vier wände ausmalen.
vielleicht eine ordentliche heizung einbauen lassen. manchmal was kochen.
eine waschmaschine statt der blöden wascherei mit münzen…
irgendwie dachte sie auch manchmal an zu hause. hatte ein schlechtes gewissen.
konnte sie wirklich so egoistisch sein. alles hinter sich lassen? für immer?
die erschütternde antwort war NEIN.
auf einem bruch mit ihrer familie konnte sie kein neues leben aufbauen. ein bisschen herumfliegen, ja, das konnte sie.
doch richtig leben wie es sich „gehört“, das konnte sie nicht.
sie fühlte, dass SIE es war, die die trennung von den eltern und der schwester auf dauer nicht aushielt…und gerade die ablehnende haltung ihrer mutter belastete sie zunehmend.
die worte „sie ist nicht mehr meine tochter.“, die mutter durch die schwester ausrichten ließ, begannen von innen her zu wirken.
 
und so begannen kathrins wurzeln sie einzuholen.
hatte sie vor ihrem ersten befreiungsschlag den job bei der post, den ihr die eltern nach der matura verschafft hatten, hingeschmissen, so tat sie sich nun nach einer ordentlichen anstellung um.
und nach einigem hin und her fand sie sie auch …und zwar beim staat.
die erste zeit konnte sie in ihrem bekanntenkreis gar nicht sagen, dass sie nun „beamte“ sei.
so grotesk erschien ihr dieser ausdruck. sie brachte ihn kaum über die lippen.
und dennoch war der neue job in ordnung. fixes monatliches geld löste das dauernde „von der hand in den mund“- leben ab.
auch kathrins freund gefiel das. die laufenden mahnungen ließen nach. und nun hatte er mehr zeit für seine ideen.
 
kathrin hingegen hatte weniger zeit für „unwichtiges“. sie versuchte sich in die neue materie einzuarbeiten. fand dort auch sehr schnell anschluss an junge arbeitskolleginnen und kollegen. hier war ein junges team, in das sie perfekt reinpasste.
die neuen aufgabenstellungen regten sie an, ihre karriereleiter in angriff zu nehmen. auch die ordnung machte spaß. und das administrieren gefiel ihr.
und: so konnte sie auch mutter wieder unter die augen treten.
sie wusste, dass sie es war, die „zu kreuze kriechen“ musste.
alle schuld werde sie auf sich nehmen. nur so könne sie gnade bei ihrer mutter finden.
kein wort über den grund für kathrins ausbruch aus der familie. dass ihr die enge und das dauernde reglement einfach zu viel war. dass sie das leben in seiner fülle erfahren wollte.
dass sie vieles und wundervolles erlebt habe. dass sie nun reicher und größer geworden war. dass es so gekommen war, weil es nun mal so kommen musste…all das ließ kathrin unerwähnt in dem brief, den sie mutter mit der post schickte: „es tut mir sehr, sehr leid. ich weiß, dass ich dir damit sehr weg getan habe. ich war gedankenlos, dachte nur an mich. bitte vergib mir.“
 
und mutter vergab ihr.
„na siehst du“, sagte sie. „ich hab´s ja gleich gewusst. das alles konnte ja sowieso nichts werden. hätt´st du dir sparen können.“
„aber jetzt bist du wieder bei sinnen.“ – „und noch was: deinen freund, den kannst du vergessen. mit dem wird das nie was! so wie der ausschaut. den brauchst mir nicht mehr herbringen!“

sie sollte recht behalten. mit dem reinhard war es nichts geworden. zu weit hatte kathrin sich von ihm wieder entfernt.
die wohnung war wohnlich. mutter hatte ihr geld für neue vorhänge geborgt. reinhard blieb nächtelang weg. teilweise fuhr er taxi, teilweise versoff er sich. anschließend schlief er sich tagsüber aus. sie sahen sich wenig.
mit seinen comic-zeichnungen ging es nicht besonders voran.
doch bei kathrin tat sich viel.
sie kaufte neue garderobe. stieg abteilungsintern auf und hielt schulungen, besuchte seminare, lernte wieder neue welten kennen. berufswelten.
wie ein chamäleon wechselte sie in ein anderes leben.
mit reinhard machte sie schluss. dafür legte sie sich einen kater zu. sie war emanzipiert und wollte es auch bleiben.
beziehung brauchte sie so schnell keine mehr. wenn, dann nur liebschaften.
und so tauchten in ihrem leben erstmals richtige freundinnen auf. sie begann sich für spirituelles zu interessieren. führte gespräche im frauenhaus und abonnierte „emma“. politisch stand sie links – auch im sozialamt, in dem sie tätig war.
 
ihre eltern besuchte sie an den samstagen und spielte mit ihnen karten. das war die schiene, die sie für sich entdeckt hatte.
da brauchte man nichts inhaltliches reden. die stunden vergingen schnell und die eltern hatten freude, weil sie sowieso einen 4-ten kartenspieler brauchten.
das verhältnis zu mutter war konstant und eingleisig. nur nichts persönlich nahe stehendes reden! – das gespräch auf den elterlichen hund lenken…und ein wenig auf den eigenen kater. aber nicht zu viel! denn mutter mag katzen ja nicht.
ein wenig vom büro reden, von den eigenen erfolgen. aber nicht zu viel! mutter könnte sonst neidisch werden.
behüte deine zunge! so lautete der slogan, den kathrin für sich zurechtgelegt hatte.
 
das telefon klingelte. es war mutter.
ob kathrin ihr helfen könne beim fernseher – sie kann ihn nicht leiser schalten.
„ich komme gleich.“
stefan, kathrins mann, sagte, er übernehme das schon. er war gerade heimgekommen und wollte sowieso zu ihr gehen, um sie zu begrüssen.
stefan war kathrins großes glück. und er war auch am glück von kathrins mutter maßgeblich beteiligt.
gerade als sich kathrin in ihrem single-dasein zurechtgefunden hatte, war er in ihr leben geschneit. und ja: geschneit! das ist der richtige ausdruck.
stefan kam nämlich leise. und was am anfang nur wie eine dünne schneedecke aussah, wurde stärker und stärker. dichter und dichter. und schließlich waren alle dunkle flecken mit einer weißen reinheit überzogen.
nun kam er wieder. „sie hätte gerne, dass du ihr dann beim ausziehen hilfst. sie möchte bald zu bett gehen.“, ließ er melden. und kathrin gab ihm einen kuss und ging.
 
das an- und auskleiden war ein ritual.
es gab ganz bestimmte handgriffe und abfolgen, die es mutter ermöglichten schmerzfrei in und aus ihrem gewand zu kommen. schon seit einigen jahren konnte sie ihre arme nicht mehr heben. nun war es so weit, dass es ihr nicht mehr möglich war, einen pullover alleine über den kopf zu ziehen. nur ihr korsett musste sie sich selbst ankleiden. das war kathrin wichtig. denn wenn sie sich dieses unding weiterhin einbildete, so solle sie es sich auch selbst anziehen, meinte sie. und außerdem bleibe sie so ein wenig in übung.
ansonsten half ihr kathrin gerne.
erst vor nicht so langer zeit war es ihr unmöglich gewesen gerade diese handlungen zu vollführen.
damals sprach sie mit einer freundin und stellte fest, dass für mutter eine art gouvernante richtig wäre. eine, die standfest, direkt und fröhlich sein sollte. eine, an der mutter sich anhalten könne. eine, die mutter wie eine puppe ankleiden möge, ihr ein passendes tüchlein oder geschmeide umhängen und ein scherzchen auf den lippen tragen solle.
im prinzip so eine wie kathrin selbst es war…aber sie dürfe sich nicht bei jedem wort der mutter aus dem gleichgewicht bringen lassen und alles so ernst nehmen, wie sie, die tochter.
 
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dabei hatte am anfang, als mutter bei ihnen eingezogen war, alles ganz gut ausgeschaut.
nur das gassi-gehen mit dem hund gab die alte, unsichere frau sofort an kathrin und ihre familie ab. daraus entstand die erste leidige pflicht.
sonst war mutter sehr lieb und freundlich. auch zu kathrins mann, und max, den nun 11-jährigen enkelsohn.
leider war die idylle nur von kurzer dauer. länger konnte sich mutter nicht zusammenreissen.
auch wenn ursprünglich ausgemacht worden war, dass sie ihren haushalt alleine führen würde und sich auch ihr essen selbst besorgte, so tauchten schnell unausgesprochene forderungen an kathrin auf.
das alles ging subtil und beinahe unmerklich.
eine kleine spitze hier, ein indignierter blick da, eisiges schweigen dort.
und schon fand sich kathrin in ihrer kinderrolle wieder. einer rolle, der sie sich fälschlicherweise entwachsen geglaubt hatte.
 
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