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Jacques Derrida

Jacques

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13. Juni 2004
Beiträge
97
Eigentlich möchte ich nur meiner Fassungslosigkeit über den Tod von Jacques Derrida irgendwie Ausdruck verleihen. Natürlich, der Tod schwebt immer über einem, vielleicht ist er schon da, bevor man überhaupt zu leben versteht oder immer bereits da, wenn man zu leben glaubt. Doch scheint es mir, dass dieses Ereignis - ich will es als eines wahrnehmen, auch wenn das nicht so leicht ist - zu erschüttern vermag (eben mich z.B.).

Jacques Derrida, 1930 in El-Biar, Algerien, geboren, ist gestern in Paris verstorben. Mit seiner Person - seine Bücher, über die ich ihn hauptsächlich zu kennen glaube, werden mir hoffentlich noch lange erhalten bleiben - stirbt etwas, mit dem mich ein Gefühl verbunden hat. Es war etwas wie Liebe, so schmerzlich - also peinlich - das hier klingen mag.

Im Gedenken an Jacques Derrida:
 
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Mein herzlichestes Beileid, Jaques.

Als Niklas Luhmann 1998 starb, saß ich gerade in einem Seminar über Luhmann und war gerade dabei, mich mit seinen Ideen zu "infizieren". Der Dozent, ein Systemtheoretiker von Geist und Blut, wich von seinem Seminarplan ab und ließ uns in der Stunde erstmal einen Haufen Nachrufe auf den Denkmeister analysieren - auch eine Art von "Trauerarbeit".
Tröstlich ist es aber doch, da wir ja alle sterben müssen, wenn Derjenige mit seinem Denkwerk zu Ende gekommen ist. Bei Luhmann jedenfalls war es so: Mit "Die Gesellschaft der Gesellschaft" hatte er sein Werk fahrplangemäß und präzise fertiggestellt. Danach hätten nur noch Ergänzungen oder "Anpassungen" kommen können.
Ich weiß nicht, wie es da bei Derrida steht, kurz war sein Leben ja jedenfalls nicht.

Trotzdem noch einen schönen Sonntag!
 
Salut!

Ich schliesse mich dem Nachruf an, starb doch mit Jacques Derrida einer der einflussreichsten Philosophen Frankreichs, einer der die Philosophie revolutionierte und um eine (Grenz)Disziplin bereicherte.

Wäre es unangebracht, wir würden heute auch des bald vor 25 Jahren verstorbenen Roland Barthes gedenken? -Ich, für meine Person, tu es in diesem Zusammenhang -schamlos sentimental- ohnehin.
 
Schöne Voten. Trauerarbeit - das faszinierende an Derrida, dass sie in ihrer Problematik wortwörtlich immer am Werk zu sein schien, auch wenn dieser Begriffskomplex nicht explizit in den (Unter-)Titeln auftauchte wie z.B. bei seinem Buch "Spectres de Marx" (Deutsch: "Marx' Gespenster").

Jérôme schrieb:
Wäre es unangebracht, wir würden heute auch des bald vor 25 Jahren verstorbenen Roland Barthes gedenken?

Auf keinen Fall ist das unangebracht. Schliesslich führte er uns "Le plaisir du texte" - in seiner ganzen Mehrdeutigkeit - besonders schön vor Augen. Barthes - bzw. seine späteren Texte - hatte/n Derrida einiges zu verdanken, aber ich denke, dass auch Derrida Barthes einiges zu verdanken hatte. Meine Wenigkeit dankt beiden - und vielleicht wende ich mich nachher der Lektüre eines Textes zu, der den Titel "Les morts de Roland Barthes" trägt. Geschrieben bzw. signiert wurde der Text von Jacques Derrida.
 
Hallo, Jaques, hallo Jerome!

Was habt Ihr von Derrida gelesen? Könnt Ihr uns einen kleinen Eindruck seines Wollens hier vermitteln? Ich habe einmal von ihm etwas über die Postmoderne gelesen, aber es ging zu langsam, weil ich mit dem Fremdwörterbuchnachschlagen nicht mehr nachkam.

Hier ist ein Link für andere Interssierte,

http://www.die-grenze.com/poststr_full.htm

Marianne
 
majanna schrieb:
Was habt Ihr von Derrida gelesen? Könnt Ihr uns einen kleinen Eindruck seines Wollens hier vermitteln?

Liebe majanna,

Obwohl diese Fragen für mich nicht so einfach zu beantworten waren und sind, möchte ich kurz den Versuch wagen, dir eine Antwort zu geben (es wäre ein wenig unhöflich, deine Frage weiterhin im Raum stehen zu lassen).
Weil Jacques Derrida mir sehr viel bedeutet und einigen Einfluss auf mein Denken ausübte, kann ich dir unmöglich mitteilen, was Derridas "Wollen" war und ist. Wenn ich von einem "Wollen" sprechen würde und könnte, so reproduzierte ich Allgemeinheiten, die ich mehr schlecht und recht von Empfindungen meinerseits ableitete (und ob ich dann nicht völlig "unwillentlich" "mein Wollen" darstellte - das mir dann nicht mehr gehören würde, weil es keinem "Willen" entspräche -, ist eine schwierige Frage; um mich zu explizieren: "mein" mir nicht mehr entsprechendes "Wollen" bezüglich einer fixen Darstellung von Derridas "Wollen", welches somit auch ihm nicht gerecht würde). Ich habe viele Eindrücke von Derrida, die einem steten Wandel unterliegen. Mein Ethos gebietet mir, den Versuch zu unternehmen, Derrida in seiner Andersheit zu belassen, ihn nicht auf ein Bild zu fixieren, das Derrida nicht entspricht.

Dich interessiert aber auch, was ich von Derrida gelesen habe. Darauf kann ich dir auch nur eine ungenügende Antwort geben. Ich kann und werde nie sagen können, was ich von Derrida gelesen habe. Wenn auch einige Texte, die ich gelesen habe, nicht die Signatur Derridas tragen, so bin ich mir nicht sicher, ob sie durch meine Augen nicht bereits immer einen Abdruck dieser Signatur erhalten (ich möchte das kurz übersetzen: es gibt Texte, die sich auf Derrida berufen, es gibt aber auch Texte, die chronologisch vor oder nach Derrida erschienen sind, die augenscheinlich nichts mit ihm zu tun haben; meine Lektüre dieser Texte wird dennoch immer einen Abdruck der Signatur Derridas enthalten). Die wenigen Texte, die explizit die Signatur Derridas tragen (selbst das kann man bezweifeln, doch will ich das gerade unterlassen) und von denen ich behaupten mag, dass sie einen starken Einfluss auf mich ausübten, möchte ich dir gerne nennen (mit ihren deutschen Titeln): "Grammatologie", "Die Schrift und die Differenz". Natürlich habe ich zahlreiche andere Texte (in Buch- und Aufsatzform) gelesen, die ich nicht alle nennen kann (die Liste würde zu lange, aber die genannten Texte waren die ersten Texte, die ich von ihm gelesen habe, und sie zählen auch zu seinen frühesten), aber ein schönes Buch ist m.E. auch "Randgänge der Philosophie".

Liebe Grüsse
Jacques
 
Salut!

Derrida definieren zu wollen, würde gerade Derrida widersprechen. Sein Denken führte somit logischerweise zu keinem System und zu keiner These. Grundsätzlich kann man -grob ausgedrückt- sagen, dass er Paradigmen hinterfragte. Vielleicht auch -ohne dabei Jacques Empfinden zu verletzen- dass es sich um das Denken der Differenzen handelt, bei dem der Sinn unterlaufen wird. Er führte seine 'Gespräche' mit den toten Denkern, drehte und wendete den Sinn der Worte so lange, bis er die Subversion entdeckte, ohne dabei die Texte zerstört zu haben, nur in Frage gestellt; d.h. man könnte es als einen Versuch sehen, zu beweisen, das gerade Philosophen mit einem Leitgedanken, um den man sich anschliessend wie um eine heilige Kuh schart, das offene Horizont der Fragen, das Philosophie halten sollte, dieses beschränken.
So sind die 'Grammatologie' und 'Die Schrift und die Differenz' (eine Sammlung der Texte zu diesem Thema) die eigentlichen 'Lehrbücher' des Dekonstruktismus.
Die Trauerarbeit, die Jacques ansprach, die Derrida bei seiner Arbeit begleitete, war wohl die Trauer, um die bei dieser Arbeit verlorenen Zentren, die man nicht ersetzen kann, weil sich die Bedeutungen von einem System nicht kontrollieren und auch nicht fixieren lassen. Sie bewegen sich viel mehr ständig und lassen keine absolute Wahrheit zu.
Indem er in den Worten der Texte nach vereinfachtem -ursprünglichem, etymologischem etc.- aber auch unendlichem Sinn suchte, eröffnete er ganz neue Perspektiven. Dabei bewegte er sich zwischen den einzelnen Disziplinen - sozusagen im Niemandsland, was man ihm einerseits vorwarf, ihn aber andererseits so wichtig macht.
Rhetorisch nahm er sich auch der 'Apokalypse' an -ich meine hier dasjenige Werk von 1985 und nicht das spätere- dekonstruierte sie und wurde dabei nicht nur politisch -das war er ohnehin schon immer- sondern auch Vordenker heute aktueller denn je.

Marianne, Dich könnte eventuell auch 'Das Zeichen und der Augen-Blick' interessieren, ein Diskurs mit Husserl; 'Der philosophische Diskurs' oder auch 'Philosophie in Zeiten des Terrors' (Derrida/Habermas/Zwei Gespräche).
 
Jérôme schrieb:
-ohne dabei Jacques Empfinden zu verletzen-

Nun ja, was soll ich sagen? Mein Empfinden wurde natürlich tangiert, verletzt (auch wenn dieser Begriff zumeist negativ konnotiert ist, möchte ich ihn verwenden)... Doch - unter uns - ich kann versuchen, das heilende Supplement, welches auftritt, um den Riss, der diese Verletzung mir zugefügt hat, zu schliessen, ich kann also dieses Supplement mir als Phantasma stets präsentieren und vor Augen halten. Ich fürchte aber, dass nun ein Abdruck - eine Spur - mich in meinem weiteren Leben begleiten wird. Eine dunkle Spur, die mich immer eine Art Trauerarbeit verrichten lässt, eine Trauerarbeit, die nicht so negativ konnotiert ist - hatten wir das nicht schon mal? - wie gewöhnlich. Denn die Trauerarbeit findet sich in allen Texten am Werk. ;)

Ein Imperativ: Derrida sei Humor geschuldet, auch wenn einem Tränen in den Augen stehen, die nicht vom Lachen herrühren!
 
Derrida über den Eigennamen in einem Text zu "Romeo und Julia" (der Text heisst "L'aphorisme à contretemps" und leider - und wahrscheinlich aus gutem Grund - kenne ich keine deutsche Übersetzung davon):

34. Ironie du nom propre, telle qu'elle est analysée par Juliette. Sentence de vérité qui porte la mort, l'aphorisme sépare, et d'abord me sépare de mon nom. Je ne suis pas mon nom. Autant dire que je pourrais lui survivre. Mais d'abord il es destiné à me survivre. Il m'annonce ainsi la mort. Non-coïncidence et contretemps entre mon nom et moi, entre l'expérience selon laquelle je m'appelle ou m'entends appeler et mon «présent vivant». Rendez-vous avec mon nom. Untimely, intempestif, au mauvais moment.

Den letzten muss ich doch auch noch hinschreiben (Derrida spricht noch über "Romeo und Julia" - obwohl...):

39. L'aphorisme absolu: un nom propre. Sans généalogie, sans la moindre copule. Fin du théâtre. Rideau. Tableau (Les deux amants unis dans la mort d'Angelo dall'Oca Bianca). Tourisme, soleil de décembre à Vérone (Verona by that name is known). Un vrai soleil, l'autre (The sun, for sorrow, will not show his head).

:blume2:
 
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hallo jacques ,hast du "apokalypse" von ihm gelesen?ich bin gerade dabei es zu lesen.

eine Frage: wie bist du auf Derrida gekommen? ein denkprozess, eine person, der zufall?
 
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