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Gewitter in der Provence

jüjü1

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23. Oktober 2004
Beiträge
38
Gewitter in der Provence


Umschmeichelt der Mistral anfangs noch die Baumkronen der Steineichen, umwiegt sie in sanftem Liebeswerben, da wächst noch in geschmeidigem Spiel sichtlich der Zorn über sein abgelehntes Liebeswerben. Erst ist es gelegentlicher Unmut, der an einem Ast, einer Krone zerrt und rüttelt, aber schon bald tobt er mit ungezügeltem Jähzorn durchs Geäst ergötzt sich am Biegen und Ächzen der ihn Verschmähenden und presst ihre Astgabeln wie unwillige Schenkel auseinander. Gräser, Stauden und heranwachsendes Gebüsch ducken sich ängstlich an die Krume, ahnend , dass sich die Wut des unbeherrschten Grobians noch steigern wird. Machtvoll treibt er Heerscharen tiefdunkler Haufenwolken ins Land, ballt sie zu schwarzen, bedrohlichen Monstern zusammen. Schon hallt Geschützfeuer, wabert aus fernen Tälern Kanonenhall, rollt heran brodelt und grollt.
Tsching ! Grellweiß sticht wie Titanenschwert ein Blitz in Gäas Leib, das Schreckensweiß der Himmelsaugen taucht das Schlachtfeld für einen Moment in blauweißes Licht. Hinter dem Vorhang aus fettschwarzen Wolkenballen entlädt sich donnerlos das angestaute Himmelsfeuer. Angstvoll wartet die Nacht auf die nächste Attacke. Dann schlägt der erste Tropfen ein. Reißt den Lehm vom karstigen Boden, zerplatzt und vergeht in der Geduld des Bodens. Ohne Warnung stürmen seine Kumpane heran, dreschen Angriffswelle um Angriffswelle auf ihre Mutter ein, pressen ihr Haar an den Boden, waschen ihre Falten aus. Entreißen der ausgetrockneten, faltigen Erde ihr Fett, schwemmen achtlos ihren Samen hinweg, berauscht vom eigenen zerstörerischen Tun. Fauchend treibt sie der Sturm voran, schiebt und drückt den widerstrebenden Nachschub über Hügelketten, quetscht sie in`s Tal und peitscht die sich widerwillig Aufbäumenden voran: „Voran, voran! Der Krieg kennt kein Erbarmen! Und wenn ihr nur die Gebeine der letzten Schlacht fortspült. Ich reiße Hades Pforten auf, dass der nächtliche Himmel scheint als führe Helios` Sonnenwagen hindurch. Mit der vollen Kraft meiner Lenden werde ich ihr die Liebe entreißen, die sie mir vorenthält! Bieg dich nur, Du kokette Locke, ich reiße dich aus Gäas Leib, so sehr du dich wehrst!“ tobt der Irrsinnige die Hänge hinauf.
Stunde um Stunde geißelt der Gewalttrunkene das Land, nur langsam verlässt ihn die Kraft. Gnädig verbirgt die Nacht sein zerstörerisches Werk. Erst am Morgen verschnauft er und legt sich zur Ruh. Wie Tränen hängen seine Soldaten an den Blättern, ein letztes Glitzern in der Morgensonne dann stürzen die Abgeschüttelten kraftlos zu Boden und zerplatzen in feinem Funkenregen. Das Land atmet auf, schiebt die letzten Wolkenflecken zwischen ihren Schenkeln weg und blinzelt befreit in einen neuen Tag.
 
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Mir gefällt dieser Kurztext.

Begründung:

Die gewählte Form der Beschreibung täuscht Distanz vor. Der Gesamttext erweist sich aber als Deutung der Welt als Kampfschauplatz .

Das gewählte Symbol: Mistral - gleich zu Beginn genannt – decodiert den Text im Vorhinein als mit Gewalt zusammenhängend. Heerscharen, Kanonenhall usw

Dieses Thema wird verstärkt. Gewalt im Geschlechtsakt.

Und hier setzt eine weitere Verstärkung ein: Gaä, die griechische Urmutter wird genannt, sie wird von der männlichen Kraft ( Mistral) zerstört. Ihrer Würde beraubt.
„Dann schlägt der erste Tropfen ein. Reißt den Lehm vom karstigen Boden, zerplatzt und vergeht in der Geduld des Bodens. Ohne Warnung stürmen seine Kumpane heran, dreschen Angriffswelle um Angriffswelle auf ihre Mutter ein, pressen ihr Haar an den Boden, waschen ihre Falten aus. Entreißen der ausgetrockneten, faltigen Erde ihr Fett, schwemmen achtlos ihren Samen“ ZITATENDE


Der Beschreiber wechselt nun die Erzählperspektive: er kommentiert:

„Voran, voran! Der Krieg kennt kein Erbarmen! Und wenn ihr nur die Gebeine der letzten Schlacht fortspült. Ich reiße Hades Pforten auf.

Hier fällt nun eine weitere künstlerische Strategie des Autors ( der Autorin?) auf:

Die allmähliche Einführung in die Thematik; Kampf zwischen den Gewalten, zwischen Tag und Nacht, zwischen dem Prinzip des Mütterlichen und dem des Männlichen.

Implizit erfährt der Leser aber, dass er nie zu Ende gehen wird, obwohl „ER“ und seine Soldaten bei Tagesbeginn Ruhe geben.

„Erst am Morgen verschnauft er und legt sich zur Ruh. Wie Tränen hängen seine Soldaten an den Blättern, ein letztes Glitzern in der Morgensonne dann stürzen die Abgeschüttelten kraftlos zu Boden und zerplatzen in feinem Funkenregen.“ ZITATENDE


ER verschnauft nur – im hellen Tageslicht – wir erfahren ja bereits im Text weiter oben von Helios Sonnenwagen.

Aber wir alle wissen, dass jeder Tag von der kommenden Nacht abgelöst wird. Auch das impliziert das Bild des Sonnenwagens.

Und so erscheint es mir, dass dieser Text, der scheinbar mit einem die Prinzipien versöhnenden Schluss endet, ein zutiefst das Leben problematiserender ist.


Diese Deutung erhebt natürlich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Sie ist m e i n e Lesart.

Marianne
 
Werte majanna,

Du hast vieles getroffen.

Problematisieren wollte ich aber nichts. Probleme gibt es doch genug, was
soll ich mehr auf diesen Haufen scheppen?
Gewalt in der Sexualität war unter anderem mein Thema.
Und, und.

Besonders wichtig war mir aber, die Melodie des Textes.
Vielleicht forme ich das Ganze mal als Gedicht, daß es dem
Leser gefälliger und eingängiger wird.

Das Wichtige zum Schluß: Du hast mich belohnt für viele Stunden Mühe.

Liebe Grüße
jüjü
 
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Hallo jüjü!

Wie ich diesen Text lese:

Ein Naturereignis (Gewitter) wird zur Folie der Darstellung etwas anderen, parallel Gesetzten, und zwar geht es um sowas wie einen „Urkampf“. Auf der einen Seite das Männliche (Das Unwetter), auf der anderen Seite das Weibliche (die Erde, über der sich das Unwetter abspielt).
Interessant, dass beide Elemente, Erde wie Unwetter, eigentlich ja zusammenhängen, beide sind Bestandteile der Natur.

Der Ursprung dieses Urkampfes wird darin gesehen, dass sich die Erde (die Frau) dem Liebeswerben des Mannes entzieht, der sich daraufhin mit Gewalt zu holen sucht, was er haben will: ihre Liebe.
Die kriegt er nicht, er schafft es nicht, sie ihr „zu entreißen“, ja er schafft es noch nicht einmal, das Land nachhaltig zu schädigen. Als der Sturm vorüber ist, „blinzelt das Land befreit in einen neuen Tag“, die letzten „Wolkenflecken“ weggeschoben.

Nicht nur die Verweise aufs Mythische legen eine sehr grundlegende Lesart nahe, sondern auch die gewählte Sprache, die eine sehr getragene, an jeder Stelle „ins Volle“ gehende ist und damit den Eindruck herstellt: hier geht es um Elementares.
Die Erzählperspektive ist die eines von Außen zusehenden und unbeteiligten Betrachters, allerdings nur scheinbar, zumindest habe ich diesen Verdacht.

Ich möchte mal als (diskussionswürdige!) These aufstellen, dass der Erzähler hier die ausgeübte Gewalt legitimiert, indem er sie in heroische Sprache kleidet. Auch das Anknüpfen an Urmythen spricht dafür.
Im Falle des Unwetters „legitimiert“ sich die Gewalt als Bestandteil des Naturgeschehens, im Falle der Parallelisierung als Vergewaltigung sähe es aber anders aus. Bzw. legt der Text nahe, dass die Vergewaltigung der Frau durch den abgewiesenen Mann ein naturhafter Vorgang ist, sich auf diese Weise ethisch-moralischen Kategorien entzieht.

In der Frage der Wertung passiert in diesem Text eine Umwertung dessen, das man bei Vergewaltigungen sonst beobachtet:

Ist hier der Sturm hochgradig potent, mächtig, stark, kennzeichnen sich Vergewaltiger durch eine gestörte sexuelle Identität.
Will der Sturm hier Liebe, wollen Vergewaltiger Macht.
Bleiben vergewaltige Frauen traumatisiert zurück, scheint die Erde hier im Text keine gröberen Schäden zurück behalten zu haben.

Allerdings scheint mir der Text unentschieden zu sein, was die Motivationslage des Sturmes angeht, denn so wird er einerseits als Gewalttrunkener, am Spiel der Zerstörung sich Berauschender dargestellt, andererseits ist dieser Wunsch nach Liebe ja wieder einer, der einen anderen Hintergrund nahe legt.
Ja, da kann man schon (trivial)psychologische Zusammenhänge herstellen, aber das ändert nichts daran, dass diese Macht, die der Sturm hier entfaltet, bzw. an dem sprachlichen Ausdruck, in den sie gekleidet wird, als elementare Naturmacht (und nicht als Folge einer sexuellen oder sonstigen Frustration) dargestellt ist.

Wobei es ja nicht bei der Vergewaltigungsparallele bleibt, der Text kippt dann ja auch noch in die Kriegsmetaphorik, die Vergewaltigung also nur als Beispiel eines elementaren Krieges zwischen aggressiver Mächtigkeit (gemeint als „männliches Prinzip“?) und zwar schwacher, sich aber letztlich behauptender, weil nicht zerstörbarer passiver Machtlosigkeit (gemeint als „weibliches Prinzip“?). Und dieser Krieg ist etwas, das innewohnt, also etwas Naturhaftes?

Nun ja, meine Überlegungen zeigen es ja, dass ich mit diesem Text so meine Schwierigkeiten habe, weil er mir die Welt als etwas deutet, als das ich sie nicht sehe.

Aber vielleicht habe ich ja etwas überlesen!

Mit Grüßen
Katharina
 
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