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Eine ungelebte Zeit?

Bernd

Well-Known Member
Registriert
3. Mai 2004
Beiträge
8.643

Liebes Forum.

Könnte man sagen, dass eine Zeit, an die man viel Erinnerungen hat, eine Zeit ist, in der man zu wenig erlebt, zu wenig, von dem, was man empfunden hat, umgesetzt und mitbekommen hat? Zu wenig „da war“?

Entstehen diese sehnsuchtsvollen Gedanken, die sich irgendwie über 10 Jahre und mehr retten, dadurch, dass wir „in der Zeit“ nicht intensiv genug leben konnten?

Die Frage stellt sich mir deshalb, weil ich mein Heute irgendwie wie mit angezogener Handbremse erlebe. Ich hab das Gefühl, als sollte ich „runterschalten und das Gaspedal ganz durdrücken“. Vorzeitiges Ableben nicht ausgeschlossen.

Wie funktioniert sowas. Woher kommen diese sehnsuchtsvollen Gedanken an Vergangenes.

So grübelt
Bernd
 
Zuletzt bearbeitet:
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AW: Eine ungelebte Zeit?

Hallo Bernd,
die sehnsuchtsvollen Gedanken an Vergangenes resultieren wohl aus der menschlichen Eigenschaft, die Vergangenheit zu verklären und überwiegend an das Positive zu denken.
Ich hab mich auch schon ab und zu dabei ertappt, sehnsüchtig an vergangene Erlebnisse zu denken und diese vielleicht wieder zu beleben, lasse das aber wohlweislich sein, weil willkürlich herbei geführte Erlebnisse meist nicht so beeindruckend sind, gar enttäuschend sein können, wie unvorhergesehende.

Wer eine trostlose (was immer man darunter verstehen mag...) Zukunft vor sich hat, flüchtet sich eher in eine Traumwelt aus schönen Erlebnissen aus der Vergangenheit.
Wer allerdings eine ausgefülltes Leben (er-)lebt, braucht so etwas nicht.

Spontan fällt mir ein Zitat von irgendeinem schlauen Menschen ein:

Sinngemäß: Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gestalten

LG
Saitenhexer
 
AW: Eine ungelebte Zeit?

Ich hab auch immer Wiedersehen mit meinem erkannten Problem der auferlegten Selbstdisziplin.
Und wenn der Bausparer abgelaufen ist wird sofort wieder ein neuer gemacht,weils halt immer so war.
Mir gehts auch bei Computerspielen immer so dass ich die guten begrenzten Gimmicks zurückhalte weils auch immer anders geht obwohls meistens mit mehr "Arbeit" verbunden ist.Am Ende vergess ich die Dinger meistens oder brate die einfach nur raus weils halt weg gehören.

Hmm wenn ich so recht nachdenke fehlt mir der Hang nach Spass,der einfach nur ist.

hehe,hoffentlich hab ich mit der Antwort ned danebengeschossen,aber solange Patronen in der alten Knarre sind werd ich mal versuchen munter weiter zu ballern.(aber keinen verletzen,die sicherheitsvorschriften beachten,nicht nach 22:00,.....;)

lg
kumi
 
AW: Eine ungelebte Zeit?

Wie können die relative Zeit nur leben, denn die nicht gelebte Zeit fällt unwiederbringlich weg.

Die Zeit kann nicht umgekehrt werden. Erinnerungen sind "nur" Echos aus der Vergangenheit.

Da fällt mir noch ein schöÖöner Spruch ein:
Das Leben ist wie eine endlose Generalprobe einer Veranstaltung, die niemals stattfindet. Und damit entscheidet man sich, ob man nun mitspielen oder nur zuschauen möchte.

Liebe das Leben im HIER und JETZT.

Gruß
Axl
 
AW: Eine ungelebte Zeit?

lieber bernd,
habe lange überlegt, ob ich dir überhaupt antworten soll....denn gerade mir und meinen aussagen wirst du wahrscheinlich mit der größten skepsis gegenübertreten...

doch gerade dies ist der umstand, der mich dann doch unumwunden sagen lässt: ja, ich stimme deiner aussage zu.

sehnsucht lässt für mich darauf schließen, dass etwas gesucht wird.
etwas, von dem mensch zwar eine ahnung hat, aber er/sie nicht die fülle - sondern nur den mangel daran - spürt.

was stattdessen da ist, ist der schmerz.
der schmerz darüber, dass das, was einem wichtig ist... das mensch zu brauchen glaubt, nicht zur gänze bekommen hat.

diese suche ist mMn eine suche nach liebe.
und diese liebe sucht mensch möglicherweise nicht mehr in diesem leben...sondern im tod.

denn es erscheint so, als ob es sie hier und jetzt nicht mehr geben könnte.

was meiner meinung nach für den anfang hilft, ist das spüren der TRAUER, dass etwas wichtiges noch nicht in aller fülle gelebt werden konnte.

kathi
 
AW: Eine ungelebte Zeit?

Danke euch allen, aber bevor ich darauf eingehen kann, muss ich erstmal das Chaos in meinem Kopf ordnen und was aufschreiben.

Ich glaube, es hat damit zutun, dass ich jetzt manchmal an die Euphorie der Jahre des Endes der Schulzeit und des Aufbruchs ins Leben herankomme und gleichzeitig sehe, wie schwer die Decke der Jahre darauf liegt. Das „überlegte Leben“ erreicht die Euphorie nicht. Es imitiert sie nur. Manchmal wird mir klar, wie jeder überlegte Tag im Planen und Anstreben nur ein zweiter Aufguss ist. Das Tor zur Welt, was nach der Schulzeit oder durch die erste große Liebe bei mir offen war, ist jetzt durch den Versuch verstellt, das was man als angenehm empfand wiederzuerleben, schlechtes zu vermeiden. Mit Methoden/Wiederholungen, die noch weiter an den Beginn des Lebens zurückreichen. Vielleicht ist sowas ein grundlegendes Problem im menschlichen Leben.

Man versucht also heute eine Zeit einzuholen, die sich viele Jahre in der Vergangenheit befindet...und das mit Methoden eines Kleinkindes. Und wundern uns, warum wir auch mit Mühe immer nur kurz aus dem Wasser rauskucken können...und nach jedem Versuch wieder in die tränen eintauchen. Wir sind seltsam.

Mir scheint, dass ein Tag ohne diese Euphorie, die einfach das Leben entdecken und tief einatmen will, einer ist, der die Traurigkeit nährt und das Gefühl für die Zeit weckt. Die Zeit, die wir vielleicht nur als Restlebenszeit so deutlich traurig erleben, indem wir erleben wie sie verrinnt, scheint erst so an Bedeutung zu gewinnen, wenn die Euphorie, die große unschuldige Erwartung an alles Kommende, versiegt.

Vielleicht sollten wir uns gegenseitig Mut machen, hinzuschauen, dass die Zukunft nicht die Vergangenheit ist und jeder Moment eine neue Unschuld und eine neue Welt gebiert. Vielleicht etwas schwülstig, aber wie soll ichs besser auszudrücken.

Seltsam.
Bernd
 
AW: Eine ungelebte Zeit?

Mir scheint, dass ein Tag ohne diese Euphorie, die einfach das Leben entdecken und tief einatmen will, einer ist, der die Traurigkeit nährt und das Gefühl für die Zeit weckt. Die Zeit, die wir vielleicht nur als Restlebenszeit so deutlich traurig erleben, indem wir erleben wie sie verrinnt, scheint erst so an Bedeutung zu gewinnen, wenn die Euphorie, die große unschuldige Erwartung an alles Kommende, versiegt.

Vielleicht sollten wir uns gegenseitig Mut machen, hinzuschauen, dass die Zukunft nicht die Vergangenheit ist und jeder Moment eine neue Unschuld und eine neue Welt gebiert. Vielleicht etwas schwülstig, aber wie soll ichs besser auszudrücken.

Seltsam.
Bernd


Hallo Bernd,

gestatte einen ganz kleinen Einwurf:

Du scheinst mir ganz simpel die Sehnsucht nach wirklich Neuem auszudrücken.

Ich als ziemlicher Kopfmensch habe da in den letzten Jahren an zwei Stellen viel Gelungenes gefunden:

Erstens in der Partnerschaft, die, wenn sie gut ist, mit den Jahren immer neue interessante Aspekte hervorbringt. Man muss natürlich auch etwas dafür tun - was auch gut in das Thema "Selbstreflektion" passen würde...

Zweitens im Geist (oder der Phantasie, wenn Du wllst), wo man ein grundsätzlich unbegrenztes Feld zum Tummeln hat. Ich habe es mir (vor allem seit ich alles lesen darf! :)) zur Gewohnheit gemacht, alle paar Jahre ein neues geistiges Feld zu erschließen. Ich fühle mich da oft wie neu geboren.

LG, pispezi :zauberer2
 
AW: Eine ungelebte Zeit?

Hallo Bernd!

Zunächst möchte ich dir Folgendes sagen:
Ich schätze dich als humorvollen, tiefsinnigen, beweglichen und bewegten Menschen.

Eine ungelebte Zeit hast du nie gehabt, auch jetzt nicht, nicht mal mit angezogener Handbremse.

Die Euphorie ist ein Gefühlsrausch und nicht jeden Tag gegeben.
Der schöne Augenblick entfliegt, wenn man ihn fassen will, wie das sprichwörtliche Glücksvogerl, doch deine Traurigkeit, die ist zu spüren.
Sie währt auch nicht ewig.
So wie jeder Augenblick eine neue Unschuld gebiert.

Sei lieb zu dir!

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
AW: Eine ungelebte Zeit?

Es ist seltsam. Wir lehren uns gegenseitig alles mögliche, die Kinder sollen immer früher immer mehr lernen und die Erwachsenen beschäftigen sich mit allem möglichen, aber die grundlegenden Dinge bleiben unklar. Es bleibt unklar, wie man den Tag so verbringen kann, dass das Denken sich nicht am hätte, währe , wenn festbeißt. Erst nehmen wir dem Kind diese Fähigkeit weg, und dann soll es sie im Laufe seines Lebens wiederfinden. Aber dann ist das Netz aus Vergleichen schon gesponnen. (Vielleicht kann man dieses Netz bildlich mit Vernetzungen der Nervenzellen beschreiben. Gleichsetzungen. Muster.)

Wie bringt man die Bestrebungen des ICH´s als sich abgrenzendes, vielleicht gar nur aus Widerständen (gegenüber dem Außen) bestehendes Ich-Bewußtsein in Harmonie mit den Bestrebungen des Lebens als Organismus (der sich scheinbar im „es ist“ ausdrückt). Wir verlassen uns auf Philosophen und Religionen, aber wie man das tatsächlich erlebt, das finden noch nichteinmal viele eher durch schwere Krisen (des Ich´s) so nach und nach heraus. Wahrscheinlich kann man diese Antworten auch nicht lehren, wahrscheinlich gibt es da auch keinen einfachen Dreisatz, sondern kommen sie erst im Laufe der Erlebnisse. Es ist schade, dass man Kinder nicht in der Gewissheit aufwachsen lässt, dass die Antworten durch das Leben kommen. Wir denken, wir müssten die Antwort vorher wissen, um dann leben zu können. Das ist für mich unser zentrales Problem.

vom Aktivdenker: Das Leben ist wie eine endlose Generalprobe einer Veranstaltung, die niemals stattfindet. Und damit entscheidet man sich, ob man nun mitspielen oder nur zuschauen möchte.

Ja, das finde ich zutreffend. Es wird keine Premiere geben. Trotzdem tun wir den ganzen tag nichts anderes, als müssten wir uns darauf vorbereiten. Wie das nur entsteht?

vom Saitenhexer:die sehnsuchtsvollen Gedanken an Vergangenes resultieren wohl aus der menschlichen Eigenschaft, die Vergangenheit zu verklären und überwiegend an das Positive zu denken.

Ja, vielleicht ist es wirklich so und man vergisst das nur. Und erwartet von heute dass es ebenso wird. Nur das sich heute nicht um die Schwierigkeiten bereinigt leben lässt.

von kathi: habe lange überlegt, ob ich dir überhaupt antworten soll....denn gerade mir und meinen aussagen wirst du wahrscheinlich mit der größten skepsis gegenübertreten

Ich lese sie eigentlich nicht mehr, weil ich nicht nur bei dir, sondern auch bei anderen immer nur Antworten sehe. Ich hab aber den Eindruck, man macht sich etwas vor, wenn man sein Erleben der Welt mit Antworten festhält. Ich kann für mich meine Welt nicht in Standpunkten strukturieren und dann das was jeweils neu hinzukommt, dort irgendwo einordnen. Für mich haben diese Erkenntnisse wie „lebe im hier und jetzt“ oder das was ich hier zusammenphantasiere nur eine gewisse Zeit einen Sinn, sie sind dann eine Art Erklärungsmodell, damit ich mit dem was ist, klarkomme. Aber im nächsten Moment zerfällt das wieder. Der Inhalt dieser Erkenntnisse ist ja nicht „da“, sie sind vielleicht der Versuch, mit der Welt zurecht zu kommen. Je weiter ein Mensch in diesem „ich weiß wie leben ist“ lebt, umso erstarrter wirkt er auf mich. Dich mag ich deshalb nicht, weil ich dich als Plastikblume empfinde. Vielleicht haben andere Menschen andere Antennen, deshalb sag ich das nicht als Wertung, sondern nur für mich. Vielleicht bin ich ja für dich ein zu früh geernter Blechabpfel (der schäppernd zu Boden fällt und hol ist).

@ Pispezi, ich mache das ähnlich, ich beschäftige mich meist mit Projekten, die eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen...und suche mir immer wieder auch ganz neue Felder. Trotzdem empfinde ich das im Moment als mechanisch, weil ich merke wie ich dabei vorgehe. Vielleicht kann man allgemein sagen dass "etwas neues einladen" mehr neue Erfahrungen bringen kann und man damit eher die chance auf ein erfülltes leben hat, als wenn man bekanntes wiederholen will.


Vielleicht entsteht der Eindruck, dass man eine bestimmte Zeit ungenutzt verbringt tatsächlich nur, weil man seine Vergangenheit bewertet und dann eine um das Unangenehme bereinigte Summe an Erfahrungen nach vorne projiziert... und das dann einfach zu hohe Erwartungen erzeugt. Irgendwie vermute ich aber, dass es noch mehr ist.

*grübelnd*
Bernd
 
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AW: Eine ungelebte Zeit?

Ja, das finde ich zutreffend. Es wird keine Premiere geben. Trotzdem tun wir den ganzen tag nichts anderes, als müssten wir uns darauf vorbereiten. Wie das nur entsteht?

Genau das ist es. Die meisten Menschen bereiten sich auf das vor, was evtl. mal kommen mag und sind dann enttäuscht, wenn es doch anders kommt.

Es liegt an der Erwartungshaltung. Das ist pädagogisch betrachtet, die eigene Erwartungshaltung, die sich durch die Erziehung durch Eltern, Familie, Freunde, Schule, Uni und Gesellschaft durch Fixierung hin zur Besessenheit manifestiert. Man hat gewisse Erwartungen an einen und möchte diese Erwartungshaltung doch auch erfüllen. Nur in der spätpubertären Phase, dann wenn die Hormone wild durch den Körper gescheut werden, dann rebelliert man gegen diese Erwartungen. Mit zunehmenden Erfahrungen und Erlebnissen lernt man, dass diese Rebellion - quasi als generelle ANTI-Haltung - eben nicht das wahre sein kann. Dann erinnert man sich zwangsläufig, an die Erwartungshaltung und findet darin gefallen, sich darin zu erfüllen. In der nächsten Phase entdeckt man dann, dass diese Erwartungshaltung nicht die gewünschte Glückseligkeit zu bringen vermag. Und damit haben wir die neurotische Spirale nicht nur betreten, sondern man steckt tief drin. Eine Hin-und Her-Gerissenheit mit stetigen Zweifel, an sich und an andere.

Ich kann davon ein mehrstimmiges Lied singen. Und es ist nicht einfach aus dieser neurotischen Spirale dauerhaft herauszutreten. Es ist ein ewig andauernder Prozess des Selbsterkennens, des Selbstkorrigierens, des Selbstverwirklichens. Mit Zuckerschlecken und süßen Liebesperlen hat dies nur ab und an zu tun. Das Scheitern, das Verfehlen, das Verwerfen, das Neujustieren der Lebensphilosophie ist immer mit inbegriffen. Es ist eben keine "Schalter-Umleg-Funktion" sondern ein beweglicher Prozess, der nach Beendigung ein baldige Wiederholung erfahren muss.

Das liegt zum einen daran, dass die Welt sich stetig verändert und mit dieser Veränderung der Umwelt (Natur und Mitmenschen) und der einhergehenden biologischen Anpassung an den geänderten Zustand, sich der eigene Zustand selbst in Bewegung setzt. Daher kann ich die Menschen, die sich angeblich voll erkannt haben und das derzeitige Denken, die derzeitige Lebensphilosophie fest gezurrt und verankert haben, auch nichts abgewinnen. Das ist Pseudorealität und Pseudoidentität gepaart mit Pseudoidealismus.

Ich bin derzeit in der Phase, das ich das Leben begreife, als: Ich darf hier sein, es ist mir eine Ehre, an diesem Leben mit all meinen Sinnen teil zuhaben. Nur durch diese positive Denkweise, kann ich auch mit den negativen Aspekten recht gut umgehen. Leid und Lust sowie Freude und Schmerz sind allgegenwärtig und auch nicht aus dem Weg zu gehen. "Das Wahre ist das Ganze", so sagt es mein Freund Hegel. Und ohne Leid kann man die Lust doch gar nicht schätzen. Ohne Schmerzen ist die Freunde doch auch nur ein blasser Schimmer des Seins. Es ist eben nicht als Einzelne oder das Entzweite - Nein - vielmehr ist das Alles mit uns und mit der Umwelt miteinander und füreinander im stetigen Wechsel, das wahre Ganze.

Lieben Gruß
Axl
 
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