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Die Glut der Diwanistin

katharina

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Registriert
4. März 2003
Beiträge
118
In literarische Praxis gesetzte philosophische Gedankengänge, das Thema Wirklichkeit betreffend!
Auf Rückmeldungen gespannt!

Katharina


Die Glut der Diwanistin


„Du Mistkerl!“, ruft sie, während der Mistkerl sich auf die Socken macht. Im Augenwinkel zu sehen: die Socken sind ausgeleiert, billige Dutzendware und vermutlich schon ewig in Gebrauch. Geduckt wie eine Comicfigur schleicht er davon, während sie auf dem Diwan liegt, ihr Arm hängt blass über die blutrote Diwankante. Er duckt sich noch ein bisschen mehr, sie schreit ihm nach: „Glaubst du, dass das witzig ist?“ Da schnalzt er zurück wie eine Gummipuppe, da federt er sofort wieder nach vorn. Er hält sich den Bauch. Vor Lachen? Die Diwanistin seufzt, greift zum Kirschholz-Diwantischchen und angelt sich eine Zigarette aus ihrem venezianischen Zigarettenhalter.
„Weißt du noch?“, fragt sie leicht, so leicht, leichter noch als die blassblaueste Frauenschrift. Am Stand macht der Mistkerl kehrt, wobei es ihm die Socken auszieht.
„Aua!“, heult er auf. Ob er Bauchweh hat? Vom Lachen? Oder ob die Diwanistin eine heimliche Voodoopriesterin ist? (Lasst uns nach Nadeln suchen, die in Puppenbäuchen stecken! Lasst uns wachsam sein und unsere Bäuche immer schön warm halten!) Nein, er hat sich nur den Zeh am Tischbein des Kirschholz-Diwantischchens gestoßen.
„Aua, das tut scheißweh“, klagt er und springt auf dem unbeschädigten Fuß durchs Zimmer.
„Hör auf damit, sonst regen sich die von unten wieder auf, gib mir lieber Feuer. Ein Fick, ein Feuer, so ist das, mein Lieber. Aus kommst du mir sowie so nicht. Du Miststück.“
Im Augenwinkel zu sehen: die Socken kringeln sich vor Scham, weil sie mitten im Zimmer liegen und das auch noch ganz nackt. Vergeblich versuchen sie, ihre unförmigen Wölbungen einzuziehen, der Gummi gibt einfach nichts mehr her.
Der Diwanistin ist vor lauter Hinhalten der Arm eingeschlafen, dafür stechen sie die Nadeln der Voodoopuppe. Sie zwinkert nervös, weil ein Voodoonadelkopf genau auf ihren Augenpunkt drückt. Endlich schafft es der Mistkerl, ihr Feuer zu geben.
Die Diwanistin zieht mit geschlossenen Augen an der Zigarette. Lang und länger. Noch länger. Der Mistkerl kriegt es mit der Angst zu tun: sie wird ihm doch nicht platzen!, aber nein, das Knistern lässt nach. Friedlich, still und leise glimmt die Glut, gefährlich nur ihre Nähe zu dem Perser, der unter dem Kirschholz-Tischchen liegt und der Diwanistin größter Stolz ist. Sie atmet aus und rückt sich zurecht. Die Voodoopuppe kommt unter ihrem Hintern zu liegen – Autsch! Den Mistkerl reißt es und die Diwanistin reißt es auch. Ihr Arm wacht auf, er ist ganz kribbelig.
Aus dem Augewinkel zu sehen: Vorwärts getrieben von ihrer Scham, in Richtung Diwandunkelheit geht es – „Hinter den Fransen, den roten, da sind wir sicher!“ – haben die Socken kurz vor dem Ziel eine letzte Rast eingelegt. Hochrot vor Anstrengung die Zwickel, vor Erschöpfung zitternd die Sockenspitzen, da fällt die Glut der Zigarette auf den Perser, da fällt die Glut der Diwanistin nicht auf den Perser, sondern genau auf die Socken, die in der Glut sofort vergehen. Weg sind sie. Weg ist auch die Voodoopuppe, weil es die nämlich gar nicht gegeben hat. Nicht wirklich. Sie war nur eine Erfindung der Diwanistin.
„Irgendwie muss man sich doch motivieren“, hat sie gedacht und sich eine Voodoopuppe zurechtgezaubert.
Jetzt steht sie da, jetzt steht die Diwanistin wie hingegossen da vor ihrem Kirschholz-Diwantischchen, die Füße in Pantöffelchen und oben drüber ein Negligee. Rot. Ganz rot.
„Da!“, sagt sie zum Mistkerl. „Da du Mistkerl“, sagt sie und steckt ihm die Zigarette in den Mund. „Zieh!“
 
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