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Alptraum (1. Teil)

wirrlicht

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26. Juni 2003
Beiträge
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Oft des Nächtens, wenn ich wach bin, ruhelos die Ozeane durchschwimme oder mich durch´s Gestänge des Universums winde - wenn alles schläft und geheimnisvolle Geräusche mein Gehör streicheln und die glänzenden Augen des Alls mir ihre Weisheiten zublinzeln - oft in solchen Nächten begegnet mir ein kleiner Wicht. Ein komischer kleiner Kerl ist das! Ein kugelrundes Körperlein mit zwei dünnen Beinchen dran, langen - viel zu langen Ärmchen und ein zerschundener Kopf.

Jaaa, der Kopf - als ich den das erste Mal sah, lag er herum, einfach so. Natürlich wußte ich da noch nicht, daß das ein Kopf ist - er sah nicht so aus! Ich hielt ihn für einen schrumpeligen Ball. Verspielt, wie wir Zahnwale nun mal sind, nahm ich dieses merkwürdige Spielzeug vorsichtig zwischen meine Zähne, schmeckte mit meiner Zungenspitze vorsichtig die Beschaffenheit dieses Dings - nä, war nicht lecker! Salzig war das, leicht bitter dazu - wenn ich mir ausdenken sollte, wie Tränen schmecken, dann wäre dieser Geschmack diesen wohl am nächsten gekommen. Nun sind wir Zahnwale ja nicht leicht zu entmutigen, schließlich hat man noch nirgendwo gelesen, daß Spielbälle gut schmecken sollen. Also tat ich das, was mir zum Thema Ball als erstes einfiel: ich nahm in weitem Bogen Anlauf, beschleunigte mit kräftigen Schlägen meiner Schwanzflosse, sprang hoch - und schleuderte das Spielzeug so weit in den Himmel, wie ich nur konnte.

'Kloink' sagte der Mond, als der Ball im auf die Stirn prallte. Und "Aua!" sagte der Ball, als er beim Herunterfallen auf der Wasseroberfläche aufschlug. Das überraschte mich, und ich besah mir diesen sprechenden Ball etwas näher. "Gibt´s vielleicht was Besonderes zu sehen?" knurrte da der Ball muffig und sah mich aus rotgeränderten Augen beleidigt an. Wir Zahnwale sind ein sehr höfliches Volk, deshalb machte ich eine artige Verbeugung und fragte: "Wer bist denn Du? Und warum kannst Du sprechen?" Meine Höflichkeit gefiel dem Ball nicht besonders, denn kaum hatten sich die Wellen, die durch meine Verbeugung entstanden waren, wieder beruhigt, tauchte das kugelig-schrumpelige Etwas wie ein Korken aus dem Wasser auf, spuckte in weitem Bogen eine dünne Wasserfontäne und meckerte los: "Kannst Du denn nicht aufpassen, Du Riesennacktschnecke? Los, leg mich gefälligst wieder dorthin zurück, wo Du mich aufgesammelt hast - wie zur Schnecke soll mich denn mein Rest wiederfinden, wenn jeder dahergeschwommene Wal mich als Spielball mißbraucht?"


Also ich fand diesen Ton schon sehr ungerecht und ganz gewiß nicht passend! Aber weil wir Zahnwale auch ausgesprochen gutmütig sind, fischte ich diesen unfreundlichen Gesellen sanft von der Wasseroberfläche und schwamm zurück an die Stelle, wo ich ihn gefunden hatte. Dort legte ich ihn vorsichtig, damit er nicht gleich wieder zurück ins Wasser kollerte, auf´s Gestänge einer kaputten alten U-Bahnabsperrung und beobachtete interessiert, wie sich das merkwürdige Ding mit viel Prusten, Niesen und Grimassenziehen von den Tropfen des Wassers zu befreien suchte. Als es damit mehr schlecht als recht fertiggeworden war, öffnete es seine kleinen Äuglein und starrte mich so böse an, daß ich vorsichtshalber eine halbe Körperlänge rückwärts schwamm. "Sollte Dir hirnlosen Nacktschnecke entgangen sein, daß ich kein Ball, kein Spielzeug und auch keine Kokosnuß bin, sondern ein Kopf!? Wie konntest Du nur auf so ´ne blöde Idee kommen, mich ausgerechnet dem Mond an die Stirne zu werfen? Meinem härtesten Konkurrenten im Nachtgewerbe!"

Leider blieb mir keine Zeit, diese Frage zu beantworten, denn just in diesem Moment kam ein Körperlein aus einem vorbeifliegenden U-Bahn-Waggon gesprungen, taumelte wild gestikulierend auf den übellaunigen Kopf zu und zu meinem großen Staunen fanden die blindlings herumtastenden Hände ohne viel Zögern den Kopf, nahmen ihn auf und - Rucks - schraubten ihn energisch auf dem Hals fest. Ich konnte unschwer erkennen, daß Körperlein und Kopf zusammengehörten: gemeinsam ergaben sie das Bild eines häßlichen, aber doch höchst interessanten Zeitgenossen. Vergnügt betrachtete ich mir diesen quirligen kleinen Kerl, der übrigens durch die Wiedervereinigung von Kopf und Körper nicht weniger schlecht gelaunt wirkte als zuvor, und wartete, was als nächstes passieren würde.

Als hätte er meine Anwesenheit vergessen, griff der dickbäuchige Gnom in eine Himmelsfalte und holte verschiedene Gegenstände heraus: eine große, zusammengerollte Weltkarte, einen Zirkel, eine Schreibfeder und noch so manch andere Gegenstände, die ich nicht erkennen konnte. Wichtig machte er sich dann daran, die Weltkarte auszurollen - ein erstaunliches Unterfangen, war doch diese Karte so groß, daß mehr als die Hälfte des Universums davon verdeckt wurde. Nachdem er jedes Fältchen, jede Unebenheit auf diesem großen Plan geradegezupft und plangetreten hatte, begann der Wicht, mit zerfurchter Miene auf den Linien der Welt auf- und abzuschreiten, leise vor sich hinmurmelnd mit Stiften und Zirkel herumzuwerkeln, Berechnungen hier und Stricheleien dort anzustellen. So ging das eine ganze Weile, und so sehr ich dieses Tun zu Beginn auch interessant gefunden hatte: mir wurde langweilig.

Gerade als ich beschlossen hatte, zur Milchstraße zu schwimmen um mir einen erfrischenden Shake zu holen,
besann sich der Kleine offenbar wieder meiner Anwesenheit. "Hey Du!" rief er mir zu, "kannst Du eigentlich
noch was anderes als Köpfe zum Mond zu werfen?" fragte er mich herausfordernd. "Das kommt darauf
an, was Du möchtest" antwortete ich vorsichtig, wie wir Zahnwale nun mal sind, denn mir schien, daß dieser
Geselle eine bestimmte Absicht mit seiner Frage verknüpfte. Und ich behielt recht! "Du scheinst ja eine sehr
schnelle Schnecke zu sein", meinte das unfreundliche Geschöpf nämlich da, "ich brauche ein Reittier, das
mich in den Nächten schnell und sicher vom Universum zur Erde trägt - ich komme so allmählich in die
Jahre, wo mir das Gehen doch ein wenig beschwerlich wird, und die U-Bahnen sind leider auch nicht mehr
das, was sie noch nie waren: pünktlich! Was meinst Du - bist Du an diesem Job interessiert?"

Ich gestehe: ich war gekränkt, für eine Schnecke gehalten zu werden, und deshalb antwortete ich ungehalten: "Nein, ich bin an keinem Job interessiert, und ich denke nicht daran, eine Person, die sich mir noch nicht einmal vorgestellt hat, durch die Welten zu tragen! Und wofür sollte das überhaupt gut sein? Was willst Du denn ausgerechnet Nacht für Nacht auf der Erde?" Das Lachen, das der Kleine da hören ließ, machte mich frösteln - es knarrte und ächzte wie anderer Wale Weinen, wenn sie in Menschennetze geraten. "Richtig, wir haben einander ja noch gar nicht vorgestellt, Du kannst also nicht wissen, daß ich in wichtigen Geschäften unterwegs bin. Sozusagen als Handlungsreisender, wenn Du verstehst was ich meine - auch wenn die dummen Nacktschnecken auf der Erde in ihren Betten meine Dienstleistungen nicht wirklich zu würdigen wissen" antwortete er. "Darf ich mich vorstellen: mein Name ist Alptraum!"

"Orca" antwortete ich höflich und machte meine artigste Verbeugung. "Kannst Du nicht aufpassen, Du hirnlose Riesennacktschnecke" schrie Alptraum, als er sich aus der abfließenden Flutwelle aufrappelte, und bevor ich wegen seiner beleidigenden Äußerung energisch antworten konnte, erklärte er: "Meine Tätigkeit ist sehr wichtig, verstehst Du. Also stell´ Dich nicht so mimosenhaft an und sag schon JA!"

Falls sich das noch nicht herumgesprochen haben sollte: wir Zahnwale sind auch ausgesprochen friedliche Wesen, und so anmaßend sich dieser Alptraum auch anhörte: es kam einer kleinen Entschuldigung doch schon ziemlich nahe, und halb besänftigt fragte ich deshalb, worin denn diese wichtige Dienstleistung bestünde. Auf diese Frage schien der Wicht gewartetet zu haben, denn zum ersten Mal konnte ich so etwas wie Begeisterung erkennen - aufgeregt hüpfte der rundbäuchige Gnom in die Luft, fuchtelte mit seinen viel zu langen, dünnen Ärmchen in der Gegend herum und schrie vergnügt: "HA!!!!

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